Schwierige Durchsetzung vor den Gerichten. | Festschreibung bringt nichts. | Wien. Nach derzeit überwiegender Auffassung wird vom EU-Reformvertrag von Lissabon eine Verbesserung des Grundrechtsschutzes insbesondere auch im Bereich der sozialen Grundrechte erwartet. Rechtlich betrachtet ist dieser Optimismus weitgehend illusorisch.
Erstens wird den meisten diesbezüglichen innerstaatlichen Anwendungsfällen der gemeinschaftsrechtliche Bezug fehlen. Ohne diesen mangelt es auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene schon an der prozessualen Legitimation zur Geltendmachung bei dem EU-Gericht erster Instanz und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Zweitens wird selbst dann, wenn - in seltenen Fällen - der erforderliche gemeinschaftsrechtliche Bezug gegeben ist, die konkrete Einzelfall-Durchsetzung beim Europäischen Gericht erster Instanz beziehungsweise beim EuGH nicht funktionieren. Denn soziale Grundrechte bedürfen grundsätzlich einer einfachgesetzlichen Konkretisierung wie etwa der Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung oder die allgemeinen Verfahrensrechte im Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, um tatsächlich gerichtlich einforderbar und einklagbar zu sein.
Dass hingegen die darüber hinausgehende Festschreibung sozialer Grundrechte bloß programmatische Wirkung haben kann und auf überstaatlicher Ebene nicht justiziabel ist, hat bereits der langjährige österreichische Richter beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Franz Matscher bestätigt.
Forderungen an den Gesetzgeber
Den in der Lehre zumeist der sogenannten "dritten Generation" der Menschenrechte zugeordneten sozialen Grundrechten ist nämlich wesensimmanent, dass diese in erster Linie Forderungen an den Gesetzgeber darstellen, die Voraussetzungen für ihre innerstaatliche Gewährleistung zu schaffen. Ein direkter Rekurs auf abstrakte soziale Grundrechte erweist sich daher in der Praxis als nicht zielführend. Relevante Bereiche sind übrigens ohnehin schon seit Jahrzehnten durch die Möglichkeit der Individualbeschwerde beim EGMR im Rahmen der sogenannten Menschenrechte der ersten und zweiten Generation abgedeckt.
So lassen sich beispielsweise Verfahrensverletzungen, die in einem innerstaatlichen arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren passiert sind, unter dem Aspekt des Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf ein faires Verfahren) relevieren. Ebenso ist eine Beschwerdeführung in Straßburg wegen Verletzung des Grundrechts auf Eigentum im Zusammenhang mit konkreten innerstaatlich festgeschriebenen sozialen Rechten denkbar.
Der Statuierung gesonderter sozialer Grundrechte bedarf es daher wegen mangelnder Relevanz in der Praxis nicht.
Wesentlicher als die bloß Hoffnungen weckende, aber deren Erfüllung nicht gewährleistende Verheißung sozialer Grundrechte wäre auf europäischer Ebene eine verstärkte Bemühung um Festschreibung sozialer Mindeststandards. Dadurch wären die nationalen Gesetzgeber angehalten, in ihren jeweiligen Rechtsordnungen einen bestimmten Mindestbestand an sozialen Rechten auf einfachgesetzlicher Ebene zu garantieren. Dies würde in der Tat eine Verbesserung des sozialen Rechtsschutzes mit sich bringen. Die wohlklingende In-Aussicht-Stellung von in der Praxis kaum je erfolgreich einklagbaren sozialen Grundrechten hingegen vermag dies nicht zu leisten.
Der Autor lehrt an den Universitäten Wien und Klausenburg und leitet überdies das private Zentrum für Rechtsforschung und den Grundrechtskonvent im österreichischen Parlament.