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Der EU-Gipfel von Nizza am Donnerstag wird medial von den Debatten und Konflikten um die Institutionenreform geprägt sein. Doch nicht nur Formales, sondern auch die Sozialagenda samt Aktionsplan gegen Armut sowie die Grundrechtscharta sollen beschlossen werden. "Europa nimmt endlich den Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung auf", freut sich Michaela Moser vom Europäischen Anti-Armutsnetzwerk (eapn). "Es geht nicht nur um Strukturreformen, sondern um die Einführung von sozialen Mindeststandards", bekundet Fritz Verzetnitsch, Präsident des ÖGB. Er hofft, dass die Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmern auf EU-Ebene gestärkt werden. ATTAC, das Netzwerk zur demokratischen Kontrolle der Finanzmärkte, begrüßt die EU-Initiative zur einheitlichen Besteuerung von Zinserträgen.
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Die sozialpolitische Agenda wurde auf Betreiben der Franzosen, die dieses Jahr den EU-Vorsitz haben, zum Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für die kommenden fünf Jahre. Die Vorbereitungen dazu entstanden auf dem bahnbrechenden Gipfel von Lissabon im März. Mit einem so genannten "integrierten Ansatz" werden die Mitgliedstaaten zur Entwicklung eines neuen, enger gewebten Sozialnetzes und zur Schaffung verbindlicher Sozialstandards verpflichtet.
Im Zentrum des französischen "Papiers" - das vom EU-Rat abgesegnet werden muss - sind strategische Ziele fixiert: Vollbeschäftigung steht im Vordergrund, es sollen zusätzliche und qualitativ hochwertigen Arbeitsplätze geschaffen werden. Gesundheit und Sicherheit wird dabei großes Augenmerk geschenkt. Die Mitbestimmung von Arbeitnehmern soll gestärkt werden. "Derzeit ist keine Mitsprache von Arbeitnehmern im Fall von Fusionen oder Übernahmen möglich", kritisiert der SPÖ-EU-Abgeordnete Harald Ettl. Mit der Schaffung einer neuen "Übernahmerichtlinie" will sich das Europäische Parlament hier massiv einschalten. Hintergrund für diesen Schritt war die Schließung des Renault-Werkes in Vilvoorde (Belgien) 1997, in dem tausende Beschäftigte mit einem Schlag ihren Arbeitsplatz verloren.
Für Ettl wäre es "ein fataler Fehler, wenn die soziale Dimension - auch angesichts des Erweiterungsprozesses - zu kurz kommt." Es sei zwar schwierig, aber wichtig, für den Sozialbereich verbindliche Normen zu schaffen. Das Recht auf gewerkschaftliche Organisation und Streik muss stärker gesichert werden. Das "Papier" wird aber auch die Regierungen in die Pflicht nehmen, sich der Armutsbekämpfung zu widmen und soziale Grundrechte zu garantieren. In der EU der 15 leben mehr als 60 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze. Dieser inakzeptable Zustand muss beseitigt werden, lauteten die Schlussfolgerungen von Lissabon. Als Folge dieser Einsicht ist jeder Staat aufgerufen, einen nationalen Aktionsplan bis Juni 2001 vorzustellen. Schon ab 2003 müssen erste Ergebnisse der sozialen Maßnahmen vorliegen. "Ein starkes Zeichen, wenn die EU zugibt, dass solche Aktionen gebraucht werden", betont Veronika Litschel, Koordinatorin der Armutskonferenz. Für die EU-Initiativen zur Armutsbekämpfung gilt: Einbeziehen der Betroffenen und deren Vertreter. "Ohne unser Know-how geht es nicht", weiß Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie: "Entscheidend wird auch sein, ob wirklich alle Risikogruppen im Auge behalten werden."
Einige Staaten wie Frankreich, Irland oder die Niederlande haben mit ihren Anti-Armutsstrategien vorbildliche Signale gesetzt. Die anderen Staaten wären jetzt gefordert nachzuziehen, fordern die NGOs.
Ferner will amnesty international, dass die Grundrechtscharta nicht nur ein Bekenntnis für Menschenrechte, sondern auch in der Praxis ein wirksamer Schutz für Flüchtlinge ist.