Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 20 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Spitzenpolitiker der Regierungsparteien mahnen jüngst die Verantwortung und Konsensfähigkeit der Sozialpartner ein. Das heurige Jahr soll sogar zum "Jahr der Bewährung für Sozialpartner" werden.
Werden die "Regierungsuhren" der Ausgrenzung der Sozialpartner wiederum umgestellt? Wird Sozialpartnerschaft wieder zu jener Institution, die österreichische Politik in Bereichen wie Sozial-, Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Berufsausbildungspolitik wesentlich mitgestaltete? Mitnichten!
Nicht die Überwindung des Bedeutungsverlustes oder eine Wiederbelebung der Sozialpartnerschaft, sondern der gestiegene Legitimationsbedarf der Regierung im Kontext einer Reihe bevorstehender Wahlen steht auf der Tagesordnung. Es geht in erster Linie um wahl- und legitimationspolitisch "heiße Kartoffeln" wie die Pensionsharmonisierung und die Gesundheitsreform. Es handelt sich dabei um Materien, die im Unterschied zur so genannten Pensionssicherungsreform 2003 nunmehr auch Berufsgruppen treffen, die der Regierungspartei ÖVP nahe stehen: gewerblich Selbständige, Bauern und Beamte. Es wäre für die ÖVP äußerst praktisch, bei der Verteilung von Belastungen auch auf ihre Klientel die Zustimmung von Wirtschaftskammer und ÖGB ins Treffen führen zu können. Die Einbindung in Gesprächsrunden à la Runde Tische wird die traditionelle Sozialpartnerschaft nicht mehr zum Leben erwecken. Die Sozialpartnerschaft hat bereits während der 1990er Jahre beträchtlich an Einfluss eingebüßt. Sie kam immer weniger oft und bei weniger Materien zum Tragen. Der Regierungswechsel im Jahr 2000 hat diesen Prozess allerdings beachtlich beschleunigt und verstärkt.
Meine These ist: Die traditionelle Sozialpartnerschaft ist passee. Eine substantielle Gesprächsbasis zwischen Regierung und Teilen der Sozialpartnerverbände ist weitgehend weg. Dieser Einschätzung widerspricht nicht, dass es in den letzten Jahren einige wenige Beispiele konzertierter Politik - in erster Linie basierend auf Vereinbarungen zwischen den Interessenorganisationen - gab. Diesbezüglich können die Vereinbarung betreffend Absicherung im Fall der Arbeitslosigkeit von befristet bzw. saisonal Beschäftigten im Jahr 2000, die sogenannte "Abfertigung neu" im Jahr 2001, Vereinbarungen über technischen Arbeitsschutz im Jahr 2002 angeführt werden. Vor Weihnachten kam es zu einer Vereinbarung zwischen ÖGB und Wirtschaftskammer betreffend Bedingungen der materiellen Absicherung von Arbeitslosen.
Dies bedeutet kein Wiederaufleben, sondern untermauert, dass sozialpartnerschaftlich akkordierte Politik zum Gelegenheitsfall geworden ist. Das Ende der traditionellen Sozialpartnerschaft heißt nicht, dass in Österreich damit auch schon jede Form konzertiert-koordinierender Politik ein für allemal zu Ende ist. Österreich verfügt nach wie vor über eine beträchtliche Infrastruktur in Form von Kommissionen, Begutachtungsmöglichkeiten, Beiräten usw. Auf Ebene der großen Interessenorganisationen besteht nach wie vor grundsätzlich die Bereitschaft, diese Zusammenarbeit und Interessenabstimmung zu pflegen - wenn auch mit einer ungleich größeren inhaltlichen Selektivität im Vergleich zu früheren Tagen. Allerdings: ohne Akzeptanz durch die Regierung läuft nichts, wie die jüngste Entwicklung zeigt.
Die zur Zeit seitens der Regierung intendierte vordergründige Instrumentalisierung der großen Dachverbände kann und wird die weitgehend "stillgelegten Gleisanlagen" sozialpartnerschaftlicher Mitgestaltung nicht wieder beleben. Dabei geht es heute nicht darum, ob sich die "Sozialpartner" bewähren - beispielsweise hat der ÖGB zur Pensionsharmonisierung bereits mehr Vorleistungen erbracht als die Regierung. Die Frage ist, ob das Instrumentalisierungskonzept der Regierung aufgeht oder nicht. Foto: APA
Dr. Emmerich Tálos ist Universitätsprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien