Der burgenländische Wissenschafter setzte sich jahrzehntelang kritisch mit der Sozialdemokratie auseinander.
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Wien. "Flügel, die ein Gott dir leiht, tragen hoch und spannen weit." Diese Worte des österreichi-schen Dichters Richard Billinger zitierte Norbert Leser oftmals, und in ihnen fühlte er sich aufgehoben. Als Christ, als Sozialphilosoph als überzeugter Österreicher und Sozialdemokrat. Zu Silvester 2014 verstarb Norbert Leser in seinem Heimatbundesland Burgenland.
Seine Welt war mehr als nur jene eines Grenzgängers, Leser war wissender Bewohner vieler Welten. Und er spielte, nein er verkörperte glaubwürdig zahlreiche Rollen in seinem Leben. Am 31. Mai 1933 im burgenländischen Oberwart geboren, aus "sozialdemokratischem Uradel" stammend - sein Onkel Ludwig Leser war erster burgenländischer Landeshauptmann nach 1945 - war ihm die Hinwendung zum Sozialismus in die Wiege gelegt. Nach seiner Habilitation war er von 1971 bis 1980 der erste Ordinarius für Politikwissenschaft an der Universität Salzburg, danach Ordinarius für Gesellschaftsphilosophie an der Universität Wien, von 1980 bis zu seiner Emeritierung 2001.
Schonungsloser SP-Kritiker
Als Biograf des Austromarxismus ist Norbert Leser nunmehr selbst vom Beitragenden zu einem Teil der österreichischen Geistesgeschichte geworden.
In seinem Werk versuchte er ebenso wie in seinen verschlungenen Lebenswegen, geistige Brücken zwischen christlicher Soziallehre und Sozialismus, zwischen Katholizismus und Sozialdemokratie zu erdenken und schreibend zu errichten.
Dass er dabei bis zuletzt hart, oft schonungslos mit der Partei und ihren Exponenten umging, war ein Zeichen von tiefer geistiger Verbundenheit. Leser kritisierte, was er liebte und er liebte das gegenwärtige Österreich, doch insgeheim auch das alte Österreich. Auf sozialphilosophische bisweilen sozialromantische Weise vermochte er die Spannungslinien von Max Adler über Otto Bauer bis zu Bruno Kreisky lebendig und mit spielerischer Leichtigkeit geistig nachzuzeichnen. Der Austromarxismus, seine politische Größe und seine Schwächen wurde zu seinem wissenschaftlichem Lebensthema. Die Erfolge und Siege, aber auch die Krisen und Irrfahrten der österreichischen Sozialdemokratie hatten Norbert Leser gewollt oder ungewollt, in jedem Falle unbedankt und dennoch mit ungebrochener Schaffenskraft zum kritischen Weggefährten.
Paul Sailer-Wlasits ist Sprachphilosoph und Politikwissenschafter in Wien. Norbert Leser war für ihn Lehrer, geistiger Vater, kritischer Reibebaum sowie Tauf- und Firmpate seines eigenen Sohnes.