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Warum die Kurz’sche Kostenrechnung bei der Kürzung von Familienbeihilfe für EU-Ausländer hinkt.
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Wien. "Warum soll ich denn weniger Familienbeihilfe bekommen? Ich arbeite hier, ich zahle meine Steuern und die Sozialversicherung", sagt der Bulgare Mustafa H. Seine beiden Kinder und seine Frau leben in Bulgarien. Er ist Vollzeit in einer Reinigungsfirma in Wien beschäftigt und darf damit Familienbeihilfe beziehen. Konkret bekommt er 366 Euro, die er seiner Familie schickt. Geht es nach Außen- und Integrationsminister Sebastian Kurz, soll nun eine Debatte darüber geführt werden, ob Mustafa H.s Bezüge künftig an die Familienbeihilfe in Bulgarien angeglichen werden, wo man für zwei Kinder nur 37,5 Euro bekommt. Weil nicht die ganze Familie in Österreich lebt.
Kurz forderte Anfang der Woche eine "Änderung der Sozialsysteme" in der EU und hat damit eine breite Debatte über Sozialleistungen für EU-Ausländer losgetreten. Damit schließt sich Kurz der von den Briten gestarteten Diskussion über eine umfassende Reform der Sozialsysteme in der EU. Diese fordern etwa, dass EU-Bürger, die aus einem anderen Land einwandern, erst nach fünf Jahren Zugang zu Sozialleistungen wie Familienbeihilfe oder Arbeitslosengeld bekommen.
So weit möchte man im Außenministerium nicht gehen, erklärt Gerald Fleischmann, Sprecher des Ministers. "Wir sind pro-europäisch und wir wollen, dass jeder arbeiten kann, wo er will", sagt er zur "Wiener Zeitung". Es dürfe aber nicht sein, dass man sich das "beste Sozialsystem" aussuche. Neben der Familienbeihilfe fordert man auch Anpassungen bei der Notstandshilfe und beim Arbeitslosengeld. Dieses soll es nicht ab dem ersten Tag geben.
Im Herbst soll das Thema auf Initiative der Briten, die 2017 übrigens über einen EU-Austritt abstimmen, auf EU-Ebene diskutiert werden. "Bis dahin wird sich die Regierung darauf einigen, welche Linie Österreich dort vertritt", heißt es auf Anfrage aus dem Sozialministerium dazu. Auf EU-Ebene muss deswegen diskutiert werden, weil die EU-Verträge die Diskriminierung von EU-Bürgern gegenüber den eigenen Staatsbürgern verbieten. Das bedeutet, dass eine Rumänin, die hier arbeitet und Abgaben zahlt, den gleichen Zugang zu Sozialleistungen bekommen muss wie ein Österreicher. Deshalb ist eine Gesetzesänderung in Österreich auch kaum möglich.
"Wie wär’s, wenn ich auch gleich weniger Steuern zahle?"
Vor allem die Familienbeihilfezahlungen ins Ausland haben in den letzten Tagen für heftige Diskussionen gesorgt. Konkret geht es laut Familienministerium um 104.295 Kinder, die in anderen EU-Ländern leben und österreichische Familienbeihilfe bekommen. Die Familienbeihilfezahlungen ins Ausland sind zwischen 2010 und 2013 von 150 auf 206 Millionen Euro gestiegen. Größtes Bezieherland ist dabei Ungarn. Dorthin fließen 65 Millionen. 49 Millionen gehen in die Slowakei und 31 nach Polen. Vor allem die Zahlungen nach Rumänien (12 Millionen) und Bulgarien (530.000 Euro) haben sich laut Finanzministerium mehr als verdoppelt.
Karas übt Kritik an Kürzungsvorschlägen
Die Reaktionen auf die Forderungen des Integrationsministers in den sozialen Medien reichen von Zustimmung über Empörung bis Spott. "Das ist ein Aussaugen des österreichischen Systems und sonst nichts", schreibt etwa die Userin Radka P. in die Facebook-Gruppe "Die Bulgaren in Österreich". Andere User spotten: "Wie wär’s, wenn wir im Gegenzug auch nur so viele Steuern zahlen, wie wir zu Hause zahlen würden?" Niki P. schreibt: "Was soll das schon wieder? Ständig scheren die uns alle über einen Kamm. Wir zahlen wie alle Österreicher auch unsere Steuern!"
Während Kurz in Österreich Rückendeckung aus der eigenen Partei bekommt, gibt es Rüffel aus Brüssel. "Es gibt ein EU-weites Diskriminierungsverbot. Wenn ich gleich viel Sozialleistungen einzahle, sollte ich auch die gleiche Leistung bekommen", sagte Othmar Karas, Fraktionsführer der ÖVP im Europäischen Parlament, am Mittwoch vor Journalisten in Brüssel. Man könne nicht einfach die Sozialleistungen von manchen EU-Bürgern kürzen und für andere nicht.
Tatsache ist, dass Österreich eines der großzügigsten und damit verlockendsten Sozialsysteme in der EU hat. Tatsache ist aber auch, dass es zu den strengsten in der Union gehört. Während in Ländern wie Großbritannien, Deutschland oder den Niederlanden Sozialleistungen wie eben die Familienbeihilfe sehr niederschwellig sind, ist es in Österreich nicht ganz so einfach.
EU-Bürger, die sich länger als vier Monate hier aufhalten wollen, benötigen eine sogenannte Anmeldebescheinigung. Das bedeutet, dass man nur bleiben darf, wenn man in Österreich einer ordentlichen Beschäftigung nachgeht, sozialversichert ist oder belegen kann, dass man über genug Geld verfügt, um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Automatischen Anspruch auf Sozialleistungen wie Familienbeihilfe oder Arbeitslosengeld haben Neuankömmlinge nicht. Familienbeihilfe gibt es nur, wenn die Eltern ihren Lebensmittelpunkt hier haben. Übrigens: Drittstaatsangehörige wie etwa Bosnier, die zwar hier leben, deren Kinder aber nicht, haben gar keinen Anspruch auf Familienbeihilfe.
Migranten zahlen nettomehr in System ein
Kritisiert wird nun, dass Migranten manchmal nur sehr kurz in Österreich arbeiten, aber danach verhältnismäßig lang im Sozialsystem bleiben. Hier ortet Kurz Missbrauchspotenzial. Grundsätzlich darf man in Österreich nur dann Arbeitslosengeld und damit auch Familienbeihilfe beziehen, wenn man innerhalb von zwei Jahren mindestens ein Jahr lang entsprechend sozialversichert war. Eine EU-Richtlinie sieht aber vor, dass man Arbeitsleistungen aus einem anderen EU-Land beim heimischen AMS anrechnen kann. Die Höhe des Arbeitslosengeldes richtet sich aber nach dem Gehalt in Österreich. Laut AMS beziehen 1400 der über 400.000 Arbeitslosen auf diese Art Arbeitslosengeld. Wie das Verhältnis zwischen jenen Eltern von Kindern im Ausland ist, die hier arbeiten und Kindergeld bekommen, und jenen, die dieses über das AMS-Geld oder Notstandshilfe beziehen, wissen weder die zuständigen Ministerien noch das AMS. Laut Sozialministerium arbeiten derzeit 351.716 EU-Bürger in Österreich.
Die Kurz’sche Kostenrechnung übersieht einen Punkt. EU-Ausländer zahlen mehr ins Sozialsystem ein, als sie herausbekommen. Laut OECD haben Migranten 2013 etwa 2400 Euro mehr ins System eingezahlt, Tendenz steigend. Und wenn wir beim Beispiel Familienbeihilfe bleiben: Die betroffenen Kinder aus Rumänien bekommen zwar die höhere österreichische Familienbeihilfe, allerdings nehmen sie sonst keine Sozialleistungen in Anspruch. Sie gehen hier nicht in die Schule, nicht zum Arzt und nicht in den Kindergarten. Ein Schulkind kostet den Staat im Schnitt 7000 Euro pro Jahr. Die Familienbeihilfe beträgt rund 1800 Euro. "Wenn sie das kürzen wollen, dann hole ich meine Kinder eben nach Österreich", so die Tonalität in manchen Communities.