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ÖVP verlangt erneut Obergrenzen, diskutiert wird auch Kürzung von Sozialleistungen für Asylberechtigte.
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Wien. "Wir schaffen das" - oder doch nicht? Während in der SPÖ weiter das Credo der deutschen Kanzlerin Angela Merkel Programm ist, drängt die ÖVP immer stärker auf eine restriktivere Asylpolitik. Es müsse eine "kapazitätsorientierte Obergrenze" bei der Aufnahme von Flüchtlingen geben, verlautbarte ÖVP-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner vor Weihnachten. Sein Parteifreund, der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer, legte nach und forderte, die Sozialleistungen "massiv zurückzufahren", sollten - trotz etwaiger Obergrenze - noch mehr Flüchtlinge nach Österreich drängen.
Dass die ÖVP gerade jetzt konzertiert eine Obergrenze fordert und laut über eine Beschränkung sozialstaatlicher Leistungen für Flüchtlinge nachdenkt, ist freilich kein Zufall: Noch im ersten Halbjahr 2016 will die Regierung sich auf eine Reform der Mindestsicherung einigen. Zusätzlich angeheizt hat die Debatte ein Leitartikel im Nachrichtenmagazin "profil", in dem der Sozialstaat als Hauptgrund für die Attraktivität Österreichs für Flüchtlinge angeführt wird. "Einfach weiterhin nett sein und Geld verschenken, ist aus österreichischer Sicht jedenfalls keine Option. Sollte es noch ein paar Jahre so weitergehen wie 2015, wird das soziale Netz reißen. Das trifft dann alle, auch die Flüchtlinge", wird dort behauptet.
Sind es tatsächlich die sozialstaatlichen Leistungen, die Flüchtlinge und Migranten anziehen? "Es gibt bislang keine empirisch gesicherten Daten, ob und in wiefern ein Zusammenhang zwischen Sozialleistungen und Zuwanderung besteht", erklärt der Wiener Migrationsforscher Heinz Fassmann. Es sei allerdings evident, dass Staaten, die über ein hochausgebautes Sozialsystem verfügen, auch die höchsten Zuwanderungszahlen aufweisen. Schweden, Deutschland und Österreich sind bekanntlich auch für syrische, irakische und afghanische Flüchtlinge Hauptzielländer.
Die Idee, die Mindestsicherung zu senken und Österreich womöglich für Flüchtlinge unattraktiver zu machen, hat aber einen gewaltigen juristischen Haken. Nämlich den Artikel 29 der entsprechenden EU-Richtlinie. Diese besagt, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen müssen, "dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, in dem Mitgliedstaat, der diesen Schutz gewährt hat, die notwendige Sozialhilfe wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats erhalten." Mit anderen Worten: Wenn Österreich die Mindestsicherung senken möchte, dann sowohl für Österreicher als auch für Flüchtlinge. Ob das auf dem politischen Parkett so leicht zu argumentieren ist, ist eine andere Frage.
Belastung für Sozialsystem
Dass zumindest mittelfristig ein Großteil der neu nach Österreich gekommenen Flüchtlinge dem Sozialstaat anheimfallen werden, ist für Experten unausweichlich. Laut einer Modellrechnung der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) könnten im Jahr 2017 über 122.000 anerkannte Flüchtlinge im erwerbsfähigen Alter in Österreich leben. In Übereinstimmung mit Erfahrungen in Schweden und Deutschland sei damit zu rechnen, dass nur 10 Prozent von ihnen es schaffen werden, sofort am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, so die OeNB. Der absolute Großteil würde demnach zumindest einige Jahre lang Mindestsicherung beziehen - durchaus eine Belastung für das Sozialsystem.
Laut validen Daten des AMS sind derzeit 21.154 Flüchtlinge arbeitslos vorgemerkt. Davon bezieht etwas mehr als die Hälfte die volle Mindestsicherung, rund 2600 Personen erhalten einen Teil davon, weil diese etwa Teilzeit arbeiten oder andere Sozialleistungen wie Kinderbetreuungsgeld bekommen. Der Rest hat laut AMS-Vorstand Johannes Kopf entweder genug Vermögen, dass dieser aus der Mindestsicherung fällt, "oder, und das ist der wahrscheinlichere Fall, dass dieser Teil Arbeitslosengeld bezieht." Schließlich gibt es unter den über 21.000 arbeitslosen Flüchtlingen einen Teil, "der zum Beispiel seit sieben Jahren da ist, am Bau arbeitet und gerade saisonarbeitslos ist".
Kopf: "Wie lange ein Flüchtling Mindestsicherung bezieht, hängt aber letztlich davon ab, wie schnell wir mit der Integration sind." Für den AMS-Vorstand ist es daher kein Ansatz, die Leistungen zu kürzen, sondern die Integration der Menschen zu forcieren, um den Schutzsuchenden rasch eine Möglichkeit zu geben, sich alsbald in den Arbeitsmarkt zu inkludieren. Kopf hat zudem einen Vorschlag zur Zuverdienstregelung der Mindestsicherung gemacht, der aktuell in Niederösterreich ausprobiert wird. Der sogenannte Wiedereinsteigerbonus soll Menschen, die Mindestsicherung beziehen, einen Anreiz bieten, wieder einer Arbeit nachzugehen. Demnach wird ein Jahr lang ein Teil der Mindestsicherung zusätzlich zum Nettogehalt ausbezahlt. Alles zusammengerechnet darf eine Grenze von 1.172,86 Euro nicht überschritten werden. Für Heinz Fassmann ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Mindestsicherungs-Debatte zu einer allgemeinen Diskussion über den sozialen Wohlfahrtsstaat führen könnte. "Zahlen die Österreicher ins System ein und die Flüchtlinge beziehen daraus, könnte das System an sich infrage gestellt werden. Wir haben noch keine europäische Identität, aufgrund der diese Form der Umverteilung akzeptiert wird." Bleibt abzuwarten, ob das Asylthema zu allgemeinen Kürzungen im Sozialstaat führen wird.