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Exakt ein halbes Jahr nach dem Startschuss zum Volksbegehren "Sozialstaat Österreich" beginnt heute die Eintragungswoche. Ziel ist eine Verankerung des Sozialstaates in der Verfassung. Die ProponentInnen hoffen auf mehr als eine Million Unterschriften - auch wenn es nicht gelungen sei, genügend zu emotionalisieren, wie Mitinitiator Stephan Schulmeister am Dienstag einschränkte. Die Liste der UnterstützerInnen ist lang: Sie umfasst zahlreiche soziale Einrichtungen, kirchliche Organisationen sowie SPÖ und Grüne. Kritik kam von Seiten der Regierung. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hatte im Vorfeld zwar ein Bekenntnis zum Sozialstaat abgelegt, "aber nicht über eine abstrakte Verfassungsbestimmung".
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Initiatoren und Unterstützer haben am Dienstag noch einmal zur Unterzeichnung des Volksbegehrens aufgerufen. Ihre Forderung: Die "vier Hauptsäulen" des Sozialstaats - die Kranken- und Unfallversicherung, die Altersvorsorge, die Arbeitslosenversicherung sowie das öffentliche Bildungswesen - dürften nicht angetastet werden. Gesetze sollten deshalb vor ihrer Beschlussfassung im Parlament einer Sozialverträglichkeitsprüfung unterzogen werden.
Prognostiziert eine aktuelle Umfrage der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft (SWS) zwar eine Beteiligung von 46 Prozent, so schränkt Schulmeister doch ein. Nicht alle die angeben, unterschreiben zu wollen, würden auch tatsächlich hingehen. Der Sozialwissenschafter sieht gewisse Schwierigkeiten: Es sei etwa nicht gelungen, genügend zu emotionalisieren, auch habe keine klare Auseinandersetzung stattgefunden. Überdies fühle sich die Bevölkerung vom Sozialabbau nicht konkret bedroht, da ein solcher ganz langsam verlaufe. "Die Latte lautet jedoch weiterhin eine Million", so Schulmeister bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Leitenden Sekretärin im ÖGB, Roswitha Bachner, sowie dem Vorsitzenden des Instituts für Trendanalysen und Krisenforschung, Hannes Bauer.
Für insgesamt 75 Prozent der Befragten sei die verfassungsmäßige Absicherung des Sozialstaates wichtig und notwendig, zitierte Bauer die SWS-Umfrage. 12 Prozent wollen der Regierung signalisieren, von der derzeitigen Politik abzugehen. Hingegen zweifeln 25 Prozent am Nutzen des Volksbegehrens.
Nähere Auskunft über die Inhalte der sozialen Sicherheit, die als besonders schutzwürdig bezeichnet werden, gibt eine Umfrage der "Arbeitsgemeinschaft Informations- und Medienforschung" (ARGE-INFO). Diese zeige vor allem, dass besonders die Jugend an den Einrichtungen des Sozialstaates interessiert sei, betonte Bauer.
Als schutzwürdig erachten die Befragten die Gleichstellung von Männern und Frauen (30 Prozent), die Sicherung der Pensionen für alle Generationen (73 Prozent), die Absicherung der Arbeitslosigkeit (43 Prozent), die Absicherung bei Krankheitsfall (69 Prozent) sowie der Schutz vor dem Abgleiten in die Armut (33 Prozent). Speziell SchülerInnen, StudentInnen weisen jeweils einen hohen Prozentsatz auf. Insgesamt 70 Prozent der Befragten sprechen sich dafür, dass Änderungen im Sozialbereich im Parlament nur mehr mit einer Zweidrittel-Mehrheit möglich sein sollten. 48 Prozent der ÖsterreicherInnen sind der Meinung, dass eine Beteiligung von weniger als 500.000 Personen am Volksbegehren den Gegnern des Sozialstaats Auftrieb geben würde.
Initiiert wurde das Volksbegehren von einer Gruppe Einzelpersonen, wie etwa die Sozialwissenschafter Emmerich Talos und Schulmeister, die Ärzte Werner Vogt und Ernst Berger, die frühere Frauenministerin Johanna Dohnal und die evangelische Superintendentin Gertraud Knoll. Intensive Unterstützung kommt von SPÖ, Grünen und Gewerkschaft.
Genau hier setzt der Kritikpunkt der Regierung an: Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer sprach von einer "rein parteipolitischen Aktion". Von den Initiatoren wird dies jedoch vehement zurückgewiesen, das Volksbehren sei streng überparteilich und überkonfessionell. Alle vier Parlamentsparteien seien dazu eingeladen worden mitzutun, wie Vogt betonte. ÖVP und FPÖ hätten allerdings nicht geantwortet.
Bundeskanzler 0Schüssel hatte schon im Vorfeld gemeint: "Ja zum Sozialstaat, aber nicht über eine abstrakte Verfassungsbestimmung". ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat wollte keine Empfehlung pro oder contra Unterzeichnung abgeben.
Im EU-Raum gibt es nur in Österreich und in Großbritannien keine Verankerung des Sozialstaates in der Verfassung.
Info: http://www.sozialstaat.at