Das imposante Bauwerk nahe Saragossa ist schon von weitem zu sehen. 50 Meter hoch ragen die mächtigen Betonpfeiler in den Himmel, 1,1 Kilometer lang ist die Brücke, die an dieser Stelle den Fluss Huerva in Nordspanien überquert. Was Naturschützer als "pharaonisches Projekt" kritisieren, ist Teil eines der größten Vorhaben ziviler Ingenieurstechnik Europas: Die Hochgeschwindigkeitstrasse Madrid-Barcelona.
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Der spanische Super-Schnellzug AVE, der jetzt im April sein zehnjähriges Bestehen feiert, soll im Jahre 2004 die 620 Kilometer zwischen der Hauptstadt und der Mittelmeer-Metropole in weniger als zweieinhalb Stunden zurücklegen - bisher dauert die Bahnfahrt fast drei Mal so lang. Die Linie zwischen den beiden größten Städten Spaniens soll die erste der Welt sein, auf der kommerziell betriebene Züge eine Geschwindigkeit von 350 Stundenkilometern erreichen. 16 von ihnen werden für rund 380 Millionen Euro vom Siemens-Konzern gebaut.
In naher Zukunft soll die Trasse zudem bis an die französische Grenze führen und somit an das TGV-Netz angebunden werden. Die "Luftbrücke", die Madrid und Barcelona derzeit noch mit stündlichen Flügen verbindet - eine der einträglichsten Flugrouten der Welt - dürfte dann 60% der Kunden verloren haben.
"Wir verändern die Vorstellung von Nähe" - mit diesem Slogan wirbt eines der beteiligten Bauunternehmen für das rund acht Milliarden Euro teure Projekt. Tatsächlich ist es für ältere Spanier kaum vorstellbar - manchen ist es gar unheimlich -, dass eine solche Distanz in so kurzer Zeit zurückgelegt werden kann. Für Javier Villen, einer der Planungschefs der staatlichen Bahngesellschaft RENFE, steht dagegen fest: "Bald werden wir nicht mehr von den Kilometern sprechen, die eine Stadt von der anderen trennen, sondern von der Zeit, die wir für die Fahrt brauchen." Längst ist Spanien nämlich zu einem Eldorado der Schnellbahnen geworden. Und die Pläne von RENFE gehen noch viel weiter. Kleinere Schnellzüge mit einer Reisegeschwindigkeit von immerhin noch 200 km/h sollen künftig die großen Metropolen in nur einer Stunde mit den Provinzhauptstädten verbinden, etwa Madrid mit Guadalajara, Saragossa oder Ciudad Real. Experten sprechen von einer "Langstrecken-U-Bahn".Ab 2005 werden AVE-Züge überdies die 388 Kilometer lange Distanz zwischen der spanischen Hauptstadt und Valencia am Mittelmeer in eineinhalb Stunden - derzeit sind es fast vier - bewältigen. Die Strecke wird über Cuenca führen und Abzweigungen nach Albacete, Alicante an der Costa Blanca, Murcia und Cartagena erhalten. Auch dem Tourismus eröffnet das neue Perspektiven.
AVE steht für "Alta Velocidad Espanola". Das Wort bedeutet auf Spanisch aber auch Vogel. Einen Eindruck von dem, was Reisende auf der Strecke Madrid-Barcelona in etwa zu erwarten haben, bekommt man seit 1992 auf den 472 Kilometern, die Madrid und Sevilla trennen. Rechtzeitig zur Weltausstellung in der andalusischen Hauptstadt war die Linie eröffnet worden.
Während Zugbegleiterinnen in der "Club"- und in der "Vorzugs"-Klasse das Menü servieren, rauschen bei bis zu 250 Stundenkilometern die riesigen Oliven-Plantagen der Mancha-Ebene, wo einst Don Quijote gegen Windmühlen kämpfte, und die schroffen Abgründe der Sierra Morena blitzartig vorbei.
Zwischen 62 und 110,50 Euro kostet die einfache Fahrt. Diese dauert dafür aber nicht mehr siebeneinhalb Stunden wie früher, sondern nur noch zweieinhalb - genau so viel, wie der um einiges schnellere AVE der neuen Generation künftig für die knapp 150 Kilometer längere Strecke nach Barcelona brauchen wird.