Der Kampf gegen den internationalen Terrorismus, eine einheitlichere EU-Außenpolitik, die geplante Erweiterung der Union voranzubringen und die EU als Wirtschaftsraum zu stärken - das sind die Schwerpunkte, die sich Spanien für die nun beginnende EU-Ratspräsidentschaft bis Ende Juni unter dem konservativen Premier José María Aznar auf die Fahnen geheftet hat. Es ist die (nach 1989 und 1995) dritte Präsidentschaft Spaniens seit dessen Beitritt zur damaligen "Europäischen Gemeinschaft" 1986.
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,,Leider wissen wir einiges über Terrorismus in Spanien", führte ein etwas sarkastischer Außenminister Josep Pique die langjährige Erfahrung Spaniens im Kampf gegen die separatistische Basken-Organisation ETA ins Treffen. Nach den Anschlägen vom 11. September in den USA machte die gemeinsame Justiz- und Sicherheitspolitik der EU einen Quantensprung nach vorne (gemeinsame Terrorismus-Definition und Haftbefehl). Die Zusammenarbeit der beiden Bereiche ist im "dritten Pfeiler" der EU-Verträge vereinbart. Dennoch gilt in Fragen der inneren Sicherheit und der Justiz nach wie vor weitgehend das Prinzip der Einstimmigkeit, was bisher Entscheidungen erschwert oder verhindert hat.
"Nach dem 11. September sind die einzelnen EU-Mitgliedstaaten um so mehr gefragt, eine einheitliche und effiziente Außen- und Sicherheitspolitik aufzubauen", betonte der spanische Ministerpräsident und nunmehr amtierende EU-Ratsvorsitzende, José María Aznar. Die Rechtsinstrumente der EU müssen weiter ausgebaut und die internationale Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte verstärkt werden. Die Errichtung länderübergreifender Polizeieinheiten wie "Europol" soll forciert werden. Spanien setzt hier auch auf seine traditionelle Achse zu den USA.
Zudem soll weiter an der Schaffung eines europäischen Asylsystems gearbeitet werden. Eine Einigung in den Asyl- und Einwanderungsfragen scheiterte beim Laekener EU-Gipfel im Dezember vor allem an Deutschland, sodass Spanien den heiklen Themenkomplex von der belgischen EU-Präsidentschaft weiter gereicht bekommt. In Europa müsse es zu einem "gemeinsamen Raum für Freiheit, Sicherheit und Recht" kommen, hatte der spanische Innenminister, Mariano Rajoy, bereits gefordert. In der EU gebe es zwar eine gemeinsame Währung, aber in der Innen- und Justizpolitik noch wenig Fortschritte.
Effiziente Außenpolitik
Wenn Spanien der Europäischen Union außenpolitisch gerne ein einheitlicheres Bild geben möchte, ist gemeint, es müsse "mehr Europa in der Welt" geben, wie es Außenminister Pique formulierte. Die Union müsse denn auch im Nahen Osten im israelisch-palästinensischen Konflikt eine größere Rolle übernehmen. Schließlich, so Pique, stehe die Stabilität der ganzen Mittelmeerregion am Spiel - die Spanien am Herzen liegt. Mit Javier Solana, dem Beauftragten für die Außen- und Sicherheitspolitik, und Miguel Moratinos, dem EU-Sondergesandten, sind zwei Spanier bereits prominent als Vermittler in Nahost vertreten.
Für das erste Halbjahr 2002 hat die spanische EU-Präsidentschaft auch einen Lateinamerika-Schwerpunkt eingeplant. Spanien ist nach den USA der weltweit zweitgrößte Investor in lateinamerikanischen Ländern und nimmt eine Stellung als Brückenkopf zwischen dem alten Kontinent und den mittel- und südamerikanischen Staaten ein. Ein Gipfel EU-Lateinamerika-Karibik ist für 17. Mai in Madrid vorgesehen.
Mit Spannung erwartet wird Spaniens Verhandlungstaktik mit den EU-Beitrittskandidaten. Dem Königreich wird unterstellt, der geplanten EU-Erweiterung - gelinde gesagt - "kühl" gegenüber zu stehen. Außenminister Pique ist bemüht, das Gegenteil zu beweisen: "Die Erweiterung ist ein sehr wichtiger historischer Prozess", betonte er. Im Aufbau Europas müsse es eine qualitative Änderung geben. Anfang März wird der Konvent, der beim Laekener EU-Gipfel formell eingesetzt wurde und Vorschläge zu einer weiteren EU-Reform ausarbeiten soll, seine Arbeit aufnehmen.
In erster Linie stehen in diesem Jahr aber die Verhandlungen über die schwierigen Kapitel Landwirtschaft und Regionalförderung an. Bis Ende 2002 sollen die Beitrittsverhandlungen, dann unter dänischem Vorsitz, mit den - wahrscheinlich zehn - am weitesten fortgeschrittenen Kandidaten abgeschlossen werden. Noch im Jänner soll die Europäische Kommission eine gemeinsame Verhandlungsposition zum Agrarkapitel sowie zu den Struktur- und Kohäsionsfonds präsentieren. Gerade in Sachen Regionalförderung hat Spaniens Premier Aznar bereits seine bremsende Funktion bewiesen: Mit der Erweiterung ab 2004 stoßen Länder zur Union, die wirtschaftlich gesehen noch ärmer sind als Spanien und daher umso mehr der Fördergelder bedürfen. Die Karten zur Mittelverteilung werden neu gemischt. Vorerst hat sich der in Brüsseler Kreisen als egoistischer Verhandlungspartner bekannte spanische Premier Aznar in einer langen Nacht in Nizza, beim EU-Gipfel im Dezember 2000, ein Vetorecht für das EU-Finanzprogramm 2007 bis 2013 erkämpft.
Wahlen erschweren EU-Verhandlungen
Erschwert werden die EU-Verhandlungen 2002 wohl auch durch die anstehenden Wahlen in Frankreich im Frühjahr und den deutschen Wahlkampf zum Urnengang im Herbst. Außerdem gibt es im ersten Halbjahr Wahlen in Dänemark, Irland, den Niederlanden sowie in Ungarn. Im Herbst 2002 wählen neben Deutschland auch Schweden, Tschechien, die Slowakei, Malta und Lettland ein neues Parlament.
Spanien will unter seinem EU-Vorsitz (Motto: "Mehr Europa") wirtschaftliche und soziale Impulse erzielen. Aznar (der im Zivilberuf Finanzinspektor in Madrid war) hat der derzeitigen Konjunkturflaute und dem stagnierenden Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone bereits den Kampf angesagt. Aznar setzt auf "dringende" Liberalisierung (Energie- und Telekommarkt): "Wir wollen kein Europa, das Siesta macht." Ebenfalls auf der Iberischen Halbinsel hatte sich die EU im März 2000 in Lissabon darauf festgelegt, die EU bis 2010 zum weltweit wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum zu machen. Der Weg dahin soll alljährlich beim Frühjahrs-Gipfel, nächsten März in Barcelona, überprüft werden.
Die spanische Präsidentschaft ist im Internet erreichbar unter: http://www.ue2002.es .