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Spanien: Ursachen der Krise

Von Aurelia Pertl (Bürgerjournalistin)

Gastkommentare

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Die Suche nach einem vermeintlichen Sündenbock für die
spanische wirtschaftliche Misere, wie es Herr Ortner in seinem Artikel vom
07.07.2012 macht, ermangelt einer sorgfältigen Analyse und fundierten
Kenntnissen über die tatsächlichen Ursachen der Krise in Spanien.

Zweifellos liegt die Hauptursache der hohen Arbeitslosenrate
von ca. 23% (speziell unter Jugendlichen mit bis zu 50% in einigen Regionen) in einer verfehlten Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte, die
schwerpunktmäßig auf den hoch spekulativen Bausektor konzentriert war.
Bekanntlich waren viele deutsche Investoren an diesem sehr lukrativen Geschäft beteiligt. Durch das Platzen der Immobilienblase stieg die Arbeitslosigkeit rasant an, eine Rückzahlung der Kredite für die angezahlten Wohnungen wurde immer schwieriger. Hunderttausende Spanier und in Spanien lebende Lateinamerikaner verloren ihre Wohnungen, die dann von den Banken weit unter dem ursprünglichen, stark überhöhten Kaufpreis versteigert werden. Die Betroffenen selbst bleiben bis an ihr Lebensende privat verschuldet. Gesetzliche Regelungen für einen Privatkonkurs existieren nicht.

Die in Pleite gegangenen Banken sollen mit Geldinjektionen von bis zu 100 Milliarden Euro seitens der EU aufgefangen werden. Dies bedeutet
eine Erhöhung der öffentlichen Verschuldung, die durch Einsparungen wettgemacht werden muss. Kredite an Klein- und mittlere Unternehmer werden seit Jahren von den Banken nicht mehr vergeben, was sich ebenfalls negativ auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes auswirkt. Im Klartext heißt das, dass der Steuerzahler für die verursachte Bankenkrise zahlen muss!!! Wer sind die eigentlichen Dinos, lieber Herr Ortner?

Die Gewerkschaften oder vielleicht doch die an der Immobilienspekulation beteiligten Banken, die am Aufbau der Immobilienblase aktiv mitwirkten und damit satte Gewinne eingefahren haben? Die konservative
Regierungspartei Partido Popular hatte an einer Aufklärung der Ursachen für die jahrzehntelange Misswirtschaft und Inkompetenz der betroffenen spanischen Banken (Bankia) wegen eigener starker Involvierung kein Interesse. Nur durch den zunehmenden Druck der Öffentlichkeit wird eine gerichtliche und eine parlamentarische Untersuchung eingeleitet werden.

Spaniens Arbeitsmarktregelungen zählen seit den Neunzigerjahren zu den flexibelsten Europas. 31,5% der gesamten Arbeiterschaft Spaniens arbeitet seit Jahrzehnten in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Der EU-Durchschnitt liegt bei 13,2%.

In einer Periode des Wirtschaftswachstums würde man annehmen, dass auch die Gehälter steigen. Das Gegenteil war der Fall. Der Durchschnittslohn im Jahre 2002 betrug 19.802 Euro jährlich; im Jahre 2006 betrug er 19.680 Euro, die Inflation ist nicht berücksichtigt. Der erworbene Reichtum des Landes lag im Kapitaleinkommen. 50% der spanischen Gehaltsempfänger verdienten bis zum Platzen der Immobilienblase weniger als 1000 Euro. Man nannte sie Mileuristas.
Sogar unter den hochqualifizierten jungen Arbeitnehmern verdiente ein Viertel weniger als 1000 Euro. Gegenwärtig beträgt ihr Lohn noch weniger. Aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten zogen zwangsläufig viele junge Leute wieder ins elterliche Heim ein. Die negativen Auswirkungen wie finanzielle Abhängigkeit und Unselbständigkeit sind Faktoren, die die Persönlichkeitsentwicklung hemmen und eine Generation ohne Perspektiven heranwachsen lässt. Das Verschwinden der Mittelschicht wird verstärkt von Experten diskutiert. 20% der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, d.h. die Familie verfügt nicht über ausreichend Geldmittel um z.B. dem Kind die notwendige Sehbrille kaufen zu können.

Laut Aussagen von Experten investieren spanische Unternehmer
weniger, sind weniger innovativ und an kurzfristigen Gewinnen stärker
interessiert. 

Trotz der noch unter der sozialdemokratischen Regierung Zapatero erfolgten Lockerung der Kündigungsbestimmungen sowie der Arbeitsmarktreform unter der konservativen Regierung im März 2012, die von den Unternehmern als höchst zufriedenstellend bewertet wurde, da sie ohne Berücksichtigung kollektiver Regelungen einseitig Beschäftigungsverträge mit den Arbeitnehmern abschließen können, gibt es keine positiven Auswirkungen.

Laut Schätzung der OECD wird die Arbeitslosenrate in diesem und im nächsten Jahr noch ansteigen bis auf 25,3%.

Herr Ortner erwähnt in seinem Artikel, dass Frau Merkel die
Schuld für die Austeritätspolitik zugewiesen wird. Frau Merkel hat sich mit
falschen Aussagen wie z.B. "Es kann keine gemeinsame Union geben, in denen die einen (gemeint waren die Südländer) viele Feiertage haben und die anderen (u.a. Deutschland) wenige", sehr unbeliebt gemacht. Die Aussage wurde vom Prof. für Arbeitsrecht J. Coscubiela überprüft (siehe Zeitung "El Pais" 7.6.2011), in dem er das globale Volumen der Arbeitsstunden bezogen auf das Jahr 2009 (laut Eurofound) als Grundlage verwendete.

Spanien: 1720 Arbeitsstunden im Jahr, Griechenland: 1816,  Deutschland:1655.

Anstatt sachlich differenzierter Aussagen, z.B. in Bezug auf die Produktivität und Effizienz der Länder, werden emotional nicht haltbare
gemacht.

Mag. Aurelia Pertl