Zum Hauptinhalt springen

Spanischer Impferfolg mit Tücken

Von WZ-Korrespondent Manuel Meyer

Politik

Seit Wochen schnellen die Corona-Infektionszahlen in die Höhe. Die Iberer ruhten sich auf ihrer hohen Impfquote aus.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Im Kampf gegen die Corona-Pandemie schaute Europa noch vor zwei Monaten fast neidisch nach Spanien. Der Erfolg des Impfmusterlandes war überwältigend. Während Österreich erneut mit einem Lockdown die hohen Inzidenzzahlen und die niedrige Impfquote bekämpfen musste, glänzte Spanien dank einer Impfquote von mehr als 80 Prozent mit einer der niedrigsten Ansteckungsraten Europas. Gerade einmal 30 Fälle pro 100.000 Einwohner zählten die Iberer Anfang November.

Doch nun sieht alles wieder ganz anders aus. Die Inzidenzzahlen explodieren und haben sich im vergangenen Monat mehr als verzehnfacht. Derzeit liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei fast 1.500 Neuinfektionen.

Wie konnte das passieren? "Ganz einfach: Wir haben uns auf unserem Impferfolg ausgeruht und selbst mit dem Aufkommen der Omikron-Welle keine weiterreichenden Schutzmaßnahmen wie andere Länder ergriffen", erklärt Manuel Franco. Das habe sich vor allem während Weihnachten und der Neujahrsfeiertage gerächt, sagt der renommierte spanische Epidemiologe und Gastprofessor der US-amerikanischen Johns Hopkins Universität. Tatsächlich verhielten sich die Spanier zuletzt, als seien sie aufgrund ihrer hohen Impfquote praktisch immun gegen das Coronavirus.

Kaum Restriktionen

Selbst in der vergangenen Woche jubelten die Menschen im ganzen Land noch dicht gedrängt den schillernden Dreikönigsparaden zu - im Vorjahr wurden die traditionellen Festumzüge der Heiligen Drei Könige noch abgesagt. Real Madrid und FC Barcelona spielen auch weiterhin vor fast ausgefüllten Rängen. Das Madrider Nachtleben pulsiert wie eh und je. Vor und nach den Feiertagen waren die Einkaufsstraßen der Großstädte voll wie selten. Die meisten Menschen trugen zwar Masken. Doch nach digitalen Impfpässen wurde an den Eingängen der Geschäfte nicht gefragt.

Während nur in einigen wenigen Regionen wie Katalonien 3G-Regeln und nächtliche Ausgehbeschränkungen erneut eingeführt wurden, gibt es in den meisten anderen Gebieten wie etwa in Madrid oder Andalusien kaum Covid-Restriktionen. Vor allem in der fünf Millionen Einwohner großen Hauptstadtregion Madrid sind 2G-Regeln für Restaurants, Beisln oder gar im Einzelhandel Fehlanzeige. Was auch mit der politischen Opposition der konservativen Landeschefin Isabel Ayuso gegen die sozialistische Zentralregierung zu tun hat.

Aber selbst Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez scheint nicht wie in anderen EU-Ländern die Notbremse ziehen zu wollen und geht nach dem Motto "Augen zu und durch" vor. "Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben", erklärte er noch am Montag in einem Radiointerview. Unterdessen wurde die Quarantäne-Zeit für Covid-Infizierte von zehn auf sieben Tage reduziert, um das Land am Laufen zu halten.

Schnelltests wieder begehrt

Einige der wenigen Maßnahmen hält Epidemiologe Manuel Franco sogar für fragwürdig. So führte die Regierung wieder eine Maskenpflicht im Freien ein. "Das dürfte wohl eher dafür gedacht sein, dass die Menschen wieder mehr Respekt vor der Pandemie bekommen und vorsichtiger werden", meint Franco.

Wegen der rasanten Ausbreitung der Omikron-Variante wird in Spanien auch eine Anpassung der Teststrategie diskutiert. Noch liegen keine konkreten Zeitpläne vor. Doch eigentlich haben die Spanier aufgrund der schnellen Virusverbreitung bereits auf die Komplettüberwachung verzichtet.

Die Nachverfolgung von Infektionsketten wurde praktisch aufgegeben. Selbst enge Kontaktpersonen werden nicht mehr getestet, wenn sie keine Symptome zeigen. Derweil kommt es bereits zu Engpässen bei den jetzt wieder begehrten Schnelltests. Da die Inzidenzzahlen im Herbst derart niedrig und die Impfquoten hoch waren, sorgten Apotheken und Supermärkte nicht für ausreichende Reserven.

Selbst in den Schulen, wo seit Montag wieder der Präsenzunterricht läuft, wird deshalb auf regelmäßige Tests verzichtet. Und erst wenn in einer Klasse mehr als fünf Schüler infiziert sind, muss auch der Rest der Klasse in Quarantäne. "Die Situation ist nicht mehr dieselbe wie vor einem Jahr. Wir bewegen uns eher auf eine endemische Krankheit zu. Wir müssen auf diese Situation mit neuen Instrumenten reagieren", sagte Ministerpräsident Sanchez.

Experten wie Ildefonso Hernandez, Sprecher der spanischen Gesellschaft für öffentliche Gesundheit, geben ihm recht. "Um vor allem das Gesundheitssystem nicht kollabieren zu lassen, brauchen wir eine neue Überwachungs- und Kontrollstrategie."

So will die Regierung das sogenannte Sentinel-Netzwerk anwenden, das in Spanien bereits seit Jahrzehnten erfolgreich bei der Überwachung der Grippe eingesetzt wird. Dabei melden nur noch ausgewählte Gesundheitszentren, Arztpraxen und Kliniken ihre Daten, die dann fürs ganze Land hochgerechnet werden.

Ein System, das auf Stichproben beruht, würde das überforderte Gesundheitswesen und die Labore entlasten, gibt auch Epidemiologe Franco zu. Dennoch sei es aufgrund der hohen Inzidenzzahlen seiner Meinung nach noch zu früh, die Covid-Pandemie wie eine Grippewelle zu überwachen.

Trotz der hohen Ansteckungszahl bleibt die Lage aufgrund der hohen Impfquote von rund 90 Prozent bei über 12-Jährigen in den Spitälern bislang stabil. "Nur die wenigsten Infizierten müssen auf die Intensivstation", stellte vor kurzem auch Präsidentschaftsminister Felix Bolanos klar.

Sorge um Gesundheitswesen

Tatsächlich ist die Situation in den spanischen Krankenhäusern entspannter als noch vor einem Jahr. Doch die neuesten Zahlen zeigen einen durchaus besorgniserregenden Trend. In rund der Hälfte der 50 spanischen Provinzen sind die Intensivstationen bereits erneut zu mehr als einem Viertel mit Covid-Patienten belegt. Zwar ist auch in Spanien die Omikron-Variante dominant. Doch die gefährliche Delta-Version ist noch nicht aus der Welt.

Und auch wenn die meisten Krankheitsverläufe bei der Omikron-Mutation generell milder verlaufen, sei die Belastung für das Gesundheitssystem durch diese hochansteckende Variante enorm, gibt Epidemiologe Franco zu bedenken. "Denn auch immer mehr Ärzte und Pflegekräfte fallen aus, da sie selbst infiziert sind oder als Kontaktperson in Quarantäne müssen."