)
1224 Wahlberechtigte küren den künftigen Präsidenten. | Union und FDP ohne Mehrheit. | Berlin. An diesem Samstag wird es spannend wie noch nie: Zum ersten Mal ist die Wiederwahl eines amtierenden deutschen Bundespräsidenten nicht absolut sicher. Der Vorsprung des derzeitigen Amtsinhabers Horst Köhler vor seiner Herausforderin Gesine Schwan ist nur relativ und nicht absolut; somit könnte es zu einem zweiten Wahlgang kommen, dessen Ergebnis völlig offen ist.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Bisher sind Amtsinhaber nicht wieder angetreten, wenn die zweite Periode nicht abgesichert war. Eine solche Blamage wollte man sich, aber auch der Würde des Amtes ersparen. Nur Theodor Heuss, Heinrich Lübke und Richard von Weizsäcker haben das Maximum von zehn Jahren ausschöpfen können.
Köhler würde Volkswahl gewinnen
Würde der höchste Repräsentant des Staates - so wie in Österreich - direkt vom Volk gewählt, müsste Köhler um seine Wiederwahl nicht bangen. Zwei Drittel der Deutschen würden ihn nach jüngsten Umfragen als Präsidenten bevorzugen, selbst über 60 Prozent der SPD-Wähler.
Doch das deutsche Grundgesetz sieht keine Volkswahl des Staatsoberhauptes vor, sondern lässt die Bundesversammlung entscheiden, ein Verfassungsorgan, das nur wegen dieser Wahl einberufen wird und keinen anderen Zweck hat. Man hatte die Lehren aus den schlechten Erfahrungen der Weimarer Verfassung gezogen und wollte das höchste Staatsamt aus der Tagespolitik heraushalten.
Gesine Schwans zweiter Anlauf
Ursprünglich wollte die SPD ja auch Köhler unterstützen, der 2004 von der CDU nominiert worden war und sich damals knapp gegen Schwan durchsetzte. Doch der schon in arger Bedrängnis stehende damalige SPD-Vorsitzende Kurt Beck knickte gegen die Phalanx seiner linken Parteigenossinnen ein und stellte die Weichen für die erneute Gegenkandidatur der Politikwissenschafterin Gesine Schwan.
Union und FDP zusammen bringen es auf nur 604 Stimmen; das reicht aber nicht, weil die absolute Mehrheit bei 613 liegt. Nur wenn die Gruppe der Freien Wähler geschlossen für Köhler stimmte, könnte er die Hürde gleich am Anfang nehmen.
Im zweiten Durchgang werden die Karten neu gemischt. Zünglein an der Waage ist diesmal die Partei "Die Linke", die zwar mit einem eigenen Kandidaten ins Rennen geht. Wenn sie im zweiten oder dritten Wahlgang diesen aber zurückzieht, könnte Gesine Schwan auf deren Stimmen zählen, was sie schon im Vorfeld ausdrücklich akzeptierte. Dafür zollte sie sogar schon ihren Tribut, indem sie sich weigerte, die DDR als Unrechtsregime zu bezeichnen. Andererseits könnte ihr dieses Appeasement sowohl in den eigenen Reihen als auch bei den Grünen einige Stimmen kosten.
Obwohl das Amt des Bundespräsidenten bewusst überparteilich angelegt ist, gerät es somit dieses Mal in die Mühlen eines Lagerwahlkampfes zwischen Linken und Bürgerlichen.
Davon abgesehen, handelt es sich bei beiden Kontrahenten um durchaus beachtliche Persönlichkeiten, deren menschliche und politische Qualitäten über jeden Zweifel erhaben sind. Für keinen der beiden müsste sich die Republik schämen und beide verfügen auch über eine hohe Reputation im Ausland.
Für Horst Köhler (66) sprechen die bedachte und selbstbewusste Amtsführung der letzten fünf Jahre, in denen er seine Überparteilichkeit mehrfach unter Beweis stellte, und sein glaubhaftes Engagement für den afrikanischen Kontinent; gegen ihn die etwas hölzerne Performance und die große Zurückhaltung des ehemaligen Währungsfondsdirektors in Sachen Finanzkrise.
Gesine Schwan (66) hat sich als Politologin und Präsidentin der deutsch-polnischen Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder Ansehen erworben. Als praktizierende Katholikin und als redegewandte Frau wirkt sie über die klassische Klientel ihrer Partei hinaus.
Die Linke schickt den Theatermann und TV-Inspektor Peter Sodann (72) in die Arena. Und selbst die extreme Rechte wartet diesmal mit einem eigenen Kandidaten auf, den 45-jährigen Liedermacher Frank Rennicke.
An dem Tag, an welchem das deutsche Grundgesetz seinen 60. Geburtstag feiert, am 23. Mai, der deshalb auch "Verfassungstag" genannt wird, tritt, wie schon seit 30 Jahren, die Bundesversammlung zusammen. Erst findet in der St.-Hedwigs-Kathedrale ein Gottesdienst statt und danach werden die 1224 Wahlfrauen und -männer im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes mit der Abstimmung beginnen.
Mehrere prominente Deutsche wählen mit
Wahlberechtigt sind die 612 Mitglieder des Bundestages und eine gleiche Anzahl Delegierter, die von den Landtagen gewählt wurden. Das sind nicht immer Politiker, sondern nicht selten Prominente aus diversen Gesellschaftsbereichen. Unter ihnen der Kabarettist Ottfried Fischer, Ex-Kanzler-Gattin Doris Schröder-Köpf, die Schriftstellerin Juli Zeh, die Verlegerin Friede Springer, Box-Weltmeisterin Regina Halmich, Künstler, Ärzte, Wissenschafter und Unternehmer.
Einerseits schmücken sich die Parteien mit diesen Namen, andererseits können sie sich der Stimmen der Prominenten bei geheimer Stimmabgabe nicht immer sicher sein. Fürstin Gloria von Thurn und Taxis z.B. hatte 2004, obwohl von der CSU nominiert, für die SPD-Kandidatin gestimmt. Auch diesmal haben bereits zwei Wahlmänner der SPD zu erkennen gegeben, dass ihr Votum für Frau Schwan noch nicht feststehe.
Wenn kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Stimmenmehrheit erreicht, können für einen zweiten Wahlgang neue Kandidaten nominiert werden. Für diesen Fall wurde sogar eine leistungsfähige Druckerei eingerichtet, die die dafür notwendigen Stimmzettel in einer halben Stunde produzieren kann. Erst im dritten Wahlgang reicht auch die relative Mehrheit, das heißt: Wer die meisten Stimmen hat, ist gewählt, sofern er die Wahl annimmt. Am 1. Juli findet dann die Vereidigung der neuen Präsidentin oder des jetzigen Präsidenten statt.
Nach dem Protokoll das höchste, nach den Kompetenzen das geringste Amt - mit diesem Präsidialmodell ist die 60-jährige Bundesrepublik bisher gut gefahren. Alle Präsidenten waren achtbare Leute; besonders herausgehoben Theodor Heuss als der erste der neuen Republik, dessen untadeliger Ruf vor allem bei den Alliierten Vertrauen schuf, Richard von Weizsäcker, der das Amt mit seiner persönlichen Dignität adelte, und Roman Herzog, der einzige Bayer im Ensemble, der mit seiner "Ruck"-Rede im April 1997 - "Durch Deutschland muss ein Ruck gehen" - die Deutschen aufrüttelte.
)
)
)