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Sparen durch Verzögerung

Von Simon Rosner

Politik

Laut Steuerrechtsexperten Doralt ist eine Tarifreform 2015 unmöglich, das längere Warten hätte aber auch seine Vorteile.


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Werner Doralt lässt sich unzweifelhaft als Doyen des österreichischen Steuerrechts bezeichnen, das bekanntlich nicht gerade durch Verständlichkeit besticht. Der 72-jährige emeritierte Professor an der Universität Wien, der beinahe einmal Rechnungshof-Präsident geworden wäre, gibt im Interview einen Einblick in die Komplexität des Systems und einer Reform.

"Wiener Zeitung": Ermüden Sie eigentlich mittlerweile Debatten über eine Steuerreform?

Werner Doralt: Nein, überhaupt nicht. Das ist nach wie vor spannend und quasi mein Leben.

Wiederholen sich die Argumente?

Eines ist schon zu bemerken: Die bisherigen Debatten waren stärker von einem Gerechtigkeitsgedanken geprägt, und nur in zweiter Linie von budgetären Überlegungen. Jetzt hat es sich umgedreht, das Budget lässt eine Reform offenbar nicht zu. Und das ist neu: Man war bisher nie in einer derartigen budgetären Zwangslage, wenn man eine Reform diskutierte.

Einig wären sich ja so ziemlich alle, dass es eine Lohnsteuerreform braucht. Nun wird debattiert, ob diese 2015 oder 2016 kommen soll und kann. Naiv gefragt: Macht das einen großen Unterschied?

Die Frage ist berechtigt. Wenn jemand dadurch 400 Euro mehr bekommt, wird er sicher sagen, jedes Jahr eher sei besser. Auf der anderen Seite: Jedes Jahr später ist eine Reform leichter durch die kalte Progression. Wenn man sich also ein Jahr Reform erspart hat, hat man vielleicht um ein Altzerl mehr Reserven.

Also Sparen durch die kalte Progression, damit man dann mehr nachlassen kann?

Das Problem ist, dass gerade die kalte Progression den Polster schafft, alle heiligen Zeiten eine Tarifreform vorzunehmen. Es ist nämlich nicht vorstellbar, dass bei einer Reform nennenswerte Gruppen Steuereinbußen erleiden. Das wäre nicht durchsetzbar. Folgendes Beispiel: Für selbstgeschaffenen Wohnraum haben wir die Sonderausgabenbegünstigung. Wenn wir das aus Verwaltungseinsparungsgründen wegbringen wollten, dann muss das so gestaltet sein, dass jene, die das bisher in Anspruch genommen haben, nicht mehr zahlen als vorher. Das ist der Polster, den man realpolitisch braucht.

Finanzminister Michael Spindelegger will aber gerade die Ausnahmeregelungen überdenken.

Als Spindelegger vor 14 Tagen gesagt hat, dass die Ausnahmen durchforstet gehören, etwa die Begünstigung für Schmutz- und Erschwerniszulagen, hat das die Gewerkschaft reflexartig abgelehnt. Aber wer wird hier eigentlich begünstigt? Der Seilbahnmechaniker, der bei Sturm und Eiseskälte die Seilbahn repariert, macht das für die Urlauber in Lech. Warum muss die der Steuerzahler begünstigen? Es müsste der Unternehmer zahlen, wenn es ihm wert ist, dass sein Arbeiter bei Sturm und Kälte herumklettert. Oder warum sollen wir den Nachtdienst einer Bardame begünstigen? Wir subventionieren damit nicht den Arbeitnehmer, sondern den Arbeitgeber, der sich den angemessenen Lohn erspart. Kostenwahrheit wäre, wenn es der Arbeitgeber trägt und er es dafür auf den Preis draufschlägt.

Also eine komplette Streichung sämtlicher Ausnahmen?

Das ist eine schwierige Sache. Es gibt im Brauereigewerbe den Freitrunk, bei den Austrian Airlines steuerfreie Flüge. Natürlich gehört das alles weg. Aber beim 13. und 14. Monatsgehalt ist das politisch schon nicht mehr machbar. Aber warum fangen wir nicht endlich an, zum Beispiel beim doppelten Durchschnittsgehalt diese Begünstigung zu streichen?

Von Ausnahmen und Begünstigungen können nur jene profitieren, die auch Einkommensteuer zahlen. Aber rund 40 Prozent verdienen so wenig, dass sie gar keine Lohnsteuer mehr zahlen. Ist das langfristig eine Gefahr für die Zahlungsbereitschaft jenen, die Einkommensteuer zahlen?

In der Monarchie war das Stimmrecht davon abhängig, ob man Steuer zahlte. Aber ich sehe diese Gefahr jetzt nicht. Jeder schätzt die Sozialeinrichtungen, wenn er mit Vernunft begabt ist, weil es dem sozialen Frieden dient. Und Verbrauchssteuern zahlen ohnehin alle.

Aber der Hinweis kommt immer wieder, dass sehr wenige sehr viele Steuern zahlen.

Ich war auch neulich auf einer Podiumsdiskussion, da hat ein Professor erklärt, dass 10 Prozent der Bestverdienenden 90 Prozent der Steuerlast tragen. Die interessante Frage ist aber, warum 90 Prozent so wenig verdienen, dass sie nur 10 Prozent der Einkommensteuerleistung bringen. In der Schweiz gibt es einen höheren Durchschnittsbezug. Warum ist der Verdienst bei uns so niedrig? Ist das ein Naturgesetz oder ist da etwas schiefgelaufen?

Seit Jahren wird darüber debattiert, wie eine Reform finanziert werden soll, daran hängt auch die Frage, wann sie kommt. Sehr fortgeschritten ist die politische Diskussion da noch nicht.

Ein Ansatz wäre eine Verwaltungseinsparung. Und da hat sich bei mir eingegraben, was der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer gesagt hat. Es müsse der Blitz einschlagen, damit sich bei uns etwas ändert im Hinblick auf eine Verwaltungsreform. Ich glaube, er hat gar nicht gemerkt, dass das ein Offenbarungseid für die Unfähigkeit der Regierung war, eine solche Reform durchzuführen. Wenn man auf den Blitz warten muss, bis man einen Blitzableiter installiert, wird man es nie tun. Das ist in Wahrheit ein Eingeständnis, dass die Regierung nicht in der Lage dazu ist. Und dann muss ich sagen: Offenkundig muss sie abgewählt werden.

Im Gegensatz zu Lohnsteuer müssen alle Arbeitnehmer Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Und die sind nach oben hin gedeckelt. Könnte man auf diesem Weg Geringverdiener entlasten?

Ja, könnte man, aber dabei muss man aufpassen, da ja die Pensionsversicherung auch drin ist. Und wenn man die anhebt, muss man konsequenterweise auch die Höchstbemessungsgrundlage anheben, womit wir wieder höhere Pensionen hätten. Daher kann man nur die Krankenkassenbeiträge unten entlastet und oben belasten. Aber das Problem wäre, dass man wieder der Mittelschicht wehtun würde, wenn man die Höchstbeitragsgrundlage weiter nach oben setzt.

Die Gegenfinanzierung ist die Kardinalfrage bei der Steuerreform. Geht sich eine größere Reform überhaupt mit Umschichtungen innerhalb des Steuersystems aus?

Man muss aber trotzdem mit der Verwaltungsreform anfangen. Ich kann mir aber schon Maßnahmen zur Gegenfinanzierung vorstellen. Wir haben etwa im betrieblichen Bereich enorme Rückstellungen von mehreren Milliarden Euro. Das sind Pensionszusagen der Firmen, die in nicht geringem Teil durch den Steuerstundungseffekt in den Rückstellungen von den anderen Steuerzahlern getragen werden. Und das sind vor allem Spitzenmanagerpensionen. Wir begrenzen die Abzugsfähigkeit der Top-Bezüge, aber bei den Rückstellungen tut sich gar nichts. Die USA lassen gar keine Rückstellungen mehr zu, und ich glaube, die wissen, was sie tun.

Die SPÖ fordert Vermögenssteuern beziehungsweise Erbschaftssteuern als Maßnahme. Eine taugliche Idee?

Im Prinzip kann man nichts dagegen sagen. Aber die SPÖ sagt, dass Betriebsvermögen draußen bleiben und Kapitalvermögen besteuert werden soll. Aber wie ist das, wenn jemand sein Unternehmen in einer Kapitalgesellschaft hat? Da ist das Vermögen auf einmal drinnen? Ein anderes Problem: Für eine Vermögenssteuer bräuchte man einen neuen Beamtenapparat, daher will die SPÖ eine Selbstbemessungsabgabe. Aber was mache ich mit einem Grundstück, bei dem der eine sagt, es sei 500.000 wert, ein anderer schätzt den Wert auf 600.000 Euro? Irgendwas muss ich ja ins Papier eintragen, und wenn ich zu wenig eintrage, bin ich im Finanzstrafverfahren.

Bei den vielen komplexen Fragen, die noch zu klären sind: Glauben Sie, dass sich eine Steuerreform schon 2015 ausgeht?

Nein, das ist auszuschließen. Wir haben ja schon Mitte 2014, und jetzt soll ja erst eine Reformkommission kommen. Wie schnell soll die denn arbeiten? Denken sie an den Mechanismus einer solchen Kommission, die müsste dann schon bis Oktober ihren Plan vorlegen. Das geht sich rein technisch nicht aus, darum kann es eine Reform frühestens 2016 geben.