Der Kanzler fordert von der EU Reformen. Und hierzulande?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Kanzler Karl Nehammer hat einen alten Evergreen aufgelegt: Wir werden nicht mehr Geld nach Brüssel zahlen! Es gibt keinen ÖVP-Obmann und/oder Finanzminister der jüngeren Vergangenheit, der dieses Lied nicht angestimmt hätte. Michael Spindelegger hat es gesungen, Maria Fekter, Hartwig Löger und natürlich auch Sebastian Kurz. Zumeist ertönen aus Brüssel von Konzertmeister Othmar Karas etwas andere Klänge, gelegentlich kommt es zu Misstönen innerhalb der Volkspartei. Am Ende stand aber bisher noch immer ein Kompromiss und waren für die Republik Mehrzahlungen an die EU zu leisten.
Soll man diese kämpferischen Töne aus dem Kanzleramt also nicht weiter ernst nehmen? Nun, man sollte sie richtig einordnen, das heißt, sie nicht als kategorisches Nein verstehen, das am Ende nicht haltbar sein wird, sondern als Verhandlungsposition. Als sich Großbritannien und damit ein großer Nettozahler ab 2016 schrittweise aus der EU verabschiedete, verlangte Kurz ebenfalls von Brüssel, dass der budgetäre Ausfall mit Einsparungen kompensiert werden müsse. Es war gewissermaßen die europäische Version seines "Sparens im System". Das ist ja auch eine legitime Position.
Es gibt aber einen nicht unwesentlichen Unterschied zu früher: Die ÖVP hat sich hierzulande von dieser Position ganz offensichtlich verabschiedet. Gewiss, auch früher hat die ÖVP eine restriktive Budgetpolitik mehr öffentlich betont als tatsächlich befolgt, konnte aber dazu auf den roten Regierungspartner mit Kanzleranspruch verweisen. Doch seit 2017 stellt die ÖVP wieder den Regierungschef und hat auch wie im Jahr 2000 große Systemreformen avisiert, doch mit ganz wenigen Ausnahmen (Sozialversicherung) diesen Ankündigungen keine Taten folgen lassen. In einem Fall muss man darüber sogar glücklich sein, denn als "Systemeinsparung" war auch geplant, im Bundesdienst einfach nur jede dritte Stelle nachzubesetzen. Ein Glück fast, dass die Pandemie dazwischenfunkte und den zarten Hinweis gab, dass eine gut funktionierende Verwaltung essenziell ist.
Es ist schon zu hoffen, dass man mit weniger Mitteleinsatz auch bessere Ergebnisse erzielen kann. Vorschläge, die Expertinnen und Experten aus dem Verwaltungsbereich jüngst gemacht haben, auch in der "Wiener Zeitung", lassen ein Potenzial erkennen. Aber dazu wären strukturelle Reformen nötig, also echte Änderungen, nicht nur "weniger Geld".
Mit diesem Hintergrund kann man den Ruf des Kanzlers nach Brüssel, in der Verwaltung einzusparen, schon auch als kühn verstehen. Nichts gegen die Forderung per se, aber man könnte ja auch in Österreich damit beginnen. Es wäre notwendig und würde auch das Argument gegenüber Brüssel stärken.