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Spät, aber doch...

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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"Beim Grundrecht auf Asyl gibt es keine Obergrenze." Dieser Satz der deutschen Kanzlerin Angela Merkel zählt wohl zu den mutigsten politischen Sätzen des Jahres 2015. Auch die österreichische Bundesregierung hat endlich eine gemeinsame Sprache gefunden. Spät, aber doch. Die vereinbarten Maßnahmen gehen in Richtung Integration, bis Mitte Oktober sollen alle Flüchtlinge ein winterfestes Quartier bekommen. Das ist gut so. Selbst jene, die sich vor Flüchtlingen fürchten, werden nicht wollen, dass in Österreich jemand in einem Zeltlager erfriert.

In der SPÖ ist dieser "Werte-Reality-Check" dem Wiener Bürgermeister Michael Häupl zuzuschreiben - Wahlkampf hin oder her. Die Wiener Stadtverwaltung hat in den vergangenen Wochen mehr geleistet, als sie eigentlich müsste, um Hilfsorganisationen und die Flüchtlinge selbst zu unterstützen. Dazu braucht es politische Vorgaben. (Oberösterreichs SP-Spitze tat dies nicht, sie wird die Rechnung serviert bekommen.)

Denn jetzt gilt es, die Menschen würdig unterzubringen. Dazu gehört auch der Arbeitsmarkt, ein besonders heikles Thema. Die Sprach- und Ausbildungsangebote für Flüchtlinge, die nun entwickelt werden, sind richtig. Ebenso richtig ist es, dass Menschen, die hier leben wollen, europäische Werte anerkennen. Dazu müssen sie diese kennen - und wie es dazu kam. Kurse dafür bereitzustellen, ist ebenso richtig.

Die große Frage ist nicht, wie viele Flüchtlinge Europa aufnehmen kann, sondern wie viele bereits hier lebende Bürger bereit sind, diese Flüchtlinge zu akzeptieren.

Denn über die Wahl in Wien hinaus wird der "Strom des Lebens", wie es der serbische Regierungschef nannte, anhalten. Täglich werden tausende Menschen nach Europa flüchten. Hier ist die europäische Politik erneut gefordert. Die EU kann - und muss - mit vollem Recht von der Staatengemeinschaft einfordern, mitzuhelfen. Dass die USA 10.000 Syrer - nach intensiver Prüfung - aufnehmen, ist lieb, aber bei weitem nicht genug. Dass Russland der EU Ratschläge gibt, ist genauso lieb, aber auch dort werden am Ende Flüchtlinge aufgenommen werden müssen.

Bis es so weit ist, ist es die Pflicht der "christlich-
jüdischen Wertegemeinschaft" (O-Ton Sebastian Kurz), den Flüchtlingen ein würdiges Leben zu ermöglichen. Das sind sich die 507 Millionen Europäer alleine aus Selbstachtung schuldig, egal welche Politiker sie gerade regieren.