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Späte Strafe für Massenmord

Von Klaus Huhold

Politik

Die Roten Khmer schlachteten die eigene Bevölkerung ab. | Ein Tribunal verurteilte erstmals zwei ihrer Führer zu lebenslanger Haft.


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Phnom Penh/Wien.Nuon Chea und Khieu Samphan hätten nach den Grundsätzen der Roten Khmer eigentlich selbst hingerichtet werden müssen. Nuon studierte Jus in Bangkok und Khieu wurde als Ökonom an der Pariser Sorbonne ausgebildet. Univeritätsabgänger wurden unter den Roten Khmer, die in Kambodscha zwischen 1975 und 1979 eine Schreckensherrschaft errichteten, abgeschlachtet.

Außer sie waren selbst Rote Khmer. Und Nuon galt als Chefideologe des Regimes, Khieu fungierte als Staatschef. Die Roten Khmer waren ein von Intellektuellen errichtetes Regime, das Intellektuelle hasste. In einer kruden Mischung aus Maoismus und Nationalismus - auch Minderheiten standen ganz oben auf der Todesliste - sollte Kambodscha in eine reine Agrargesellschaft verwandelt werden. Städte wurden entvölkert, Familien zerrissen, die Menschen in eine schwarze Einheitskleidung gesteckt und zur Fronarbeit am Land verpflichtet. Das Tragen einer Brille oder eine vietnamesische Großmutter reichten schon, dass man hingerichtet und in einem der Massengräber verschart wurde. Rund 1,7 Millionen Menschen und damit fast ein Drittel der damaligen Bevölkerung fanden den Tod: Sie wurden ermordet, verhungerten oder starben wegen der mangelnden medizinischen Versorgung.

Nun, 35 Jahre nach dem Sturz der Roten Khmer, wurden der mittlerweile 88-jährige Nuon Chea und der 83-jährige Khieu Samphan zu lebenslanger Haft verurteilt: Ein Sondertribunal in der Hauptstadt Phnom Penh, das aus kambodschanischen und internationalen Juristen besteht, befand sie unter anderem "wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig, darunter Ausrottung einschließlich Mord".

Es ist dies die erste Verurteilung von hochrangigen politischen Anführern der Roten Khmer durch das Tribunal. Zwar hat das Gericht bereits Kaing Guek Eav alias "Kamerad Duch", der das berüchtigte Foltergefängnis Tuol Sleng in Phnom Penh leitete, zu lebenslanger Haft verurteilt. Aber Duch war ein Vollstrecker der Todesmaschinerie, kein Ideologe oder Politiker.

Nuon und Khieu nahmen das Urteil des UN-kambodschanischen Hybridgerichts regungslos entgegen. Manche Zuschauer des Prozesses aber - unter ihnen Angehörige von Opfern der Roten Khmer oder Menschen, die selbst gefoltert wurden - brachen nach dem Gerichtsentscheid in Tränen aus. "Ich bin erleichtert", sagte die 65-jährige Set Maly, die zwei Kinder und sechs Geschwister während der Roten-Khmer-Herrschaft verloren hatte, der Nachrichtenagentur Reuters. "Aber wir können diese Verbrechen nicht vergessen, was damals passiert ist, ist noch immer in meinem Kopf." Auch Menschenrechtsorganisationen begrüßten das Urteil, zumal die Richter empfohlen haben, die Opfer zu entschädigen.

Anwälte wollen berufen

Die Anwälte von Nuon und Khieu wollen gegen das Urteil Berufung einlegen. Nuon legte während des Prozesses zumindest das Eingeständnis ab, "moralisch verantwortlich" zu sein, auch Khieu drückte Bedauern aus. Sonst präsentierten sie sich aber immer wieder als Mitläufer, die nur ihre Pflicht für ihr Land erfüllten und von den Verbrechen angeblich nichts wussten. Dabei gehörten sie beide dem Angkar an, dem innersten Zirkel rund um Rote-Khmer-Anführer Pol Pot, der in den 1990er Jahren im Dschungel starb.

Nuon und Khieu dürften die letzten Roten Khmer sein, über die das Gericht urteilt. Ihr Mitangeklagter Ieng Sary starb 2012 während des Prozesses, dessen Frau Ieng Thirith wurde wegen Demenz für verfahrensunfähig erklärt. Gegen weitere Anklagen sperrt sich die kambodschanische Regierung - so manch hochrangiger Politiker gehörte früher selbst den Roten Khmer an. Viele Opfervertreter sind deshalb empört, aber machtlos.