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Spatenstich statt Totengräber

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

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Amtierende und ehemalige deutsche Zentralbanker gefallen sich derzeit in der Rolle der monetären Wächter. Wenn die Europäische Zentralbank Anleihen der Euroländer kauft, verliert sie ihre Unabhängigkeit - so deren Tenor.

Die Warnrufe von Jens Weidmann und Jürgen Stark sind aus zweifacher Sicht entbehrlich und schädlich. Erstens scheinen sie immer noch nicht kapiert zu haben, dass die derzeitige Krise in der Europäischen Union mit wenig zuvor vergleichbar ist. Sich in solchen Situationen auf Vorschriften und Dogmen zu berufen, zeugt von fehlender Lösungsmöglichkeit - gespeist aus Engstirnigkeit. Die großen Erfinder der Geschichte hätten mit diesem gedanklichen Zugang vermutlich nicht einmal ein Streichholz erfunden.

Zweitens sollten diese Vertreter der reinen Lehre langsam begreifen, dass sie das Geschäft der Populisten erledigen. Die verwenden diese Experten-Meinung als Beweis für ihre Stammtisch-Thesen. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache gehen als Chef-Ökonomen wohl nicht durch, aber sie können sich jederzeit auf den Chef der deutschen Zentralbank berufen.

Von "Die EZB soll keine griechischen Anleihen kaufen" bis zu "Griechen raus aus der Eurozone" ist es politisch nur ein ganz kleiner Schritt. Dass die Dinge komplexer sind als von den Populisten dargestellt, verliert sich in der dazugehörigen Phrasendrescherei (wie im ORF-Sommerinterview von Strache zu hören war.)

Die hohen Herren der Geldpolitik vergessen
noch eines: Europa ist längst eine Solidargemeinschaft, sogar in der Privatwirtschaft. Wenn Raiffeisen in der Ukraine das vorletzte Hemd verliert, bekommt die in Wien ansässige Bank finanzielle Unterstützung vom österreichischen Steuerzahler, nicht vom ukrainischen. Es geht auch gar nicht anders, zu groß sind die gegenseitigen Abhängigkeiten geworden.

In den vergangenen Jahren hat diese Vernetzung in Österreich viele Arbeitsplätze ins Land geholt, und bestehende erhalten. Ähnlich schaut es in der deutschen Industrie aus. Wenn also nun die monetären Dogmatiker ausrücken, um die Europäische Zentralbank zu stoppen, so betätigen sie sich als Totengräber. Europa - und damit wir alle - benötigt in den kommenden Monaten aber einen Spatenstich. Und die EZB ist die größte Schaufel, die wir haben . . .