Chiles Oberster Gerichtshof gab grünes Licht für ein Gerichtsverfahren gegen Ex-Diktator Augusto Pinochet wegen Menschenrechtsverletzungen während seiner 17-jährigen Herrschaft (1973-1990).
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"Das ist ein Rückschritt aus Sicht der Menschenrechte, eine Verletzung unserer Verfassung", ereiferte sich Pablo Rodríguez, der Anwalt des Ex-Diktators. Im gleichen Moment jubelten vor dem Obersten Gericht von Santiago die Angehörigen der Kläger, nachdem Pinochet am Dienstag für prozessfähig erklärt worden war. Das jahrelange Ringen um Pinochets Gesundheit, der laut seiner Verteidigung wegen Altersdemenz prozessunfähig sein soll, hat damit ein Ende. "Darauf haben wir 30 Jahre lang gewartet", sagt Lorena Pizarro, Vorsitzende der Angehörigen verschwundener Häftlinge, und nennt das Urteil "historisch". Der Fall Cóndor wird damit zu einem Präzedenzfall mit Auswirkungen auf ganz Südamerika.
Der unter Hausarrest gestellte Ex-Staatschef muss sich wegen neun Entführungen und einem Mord im Zuge der Operation Cóndor verantworten. Länderübergreifend hatten in den 70ern die Geheimdienste Südamerikas so genannte Subversive verfolgt. Die chilenischen Oppositionellen, für die Pinochet jetzt vor Gericht soll, wurden in Argentinien, Bolivien und Paraguay festgenommen und nach Chile ausgeliefert. Dort verschwanden sie 1975 spurlos in den Foltersälen der chilenischen Geheimpolizei DINA.
Mit drei zu zwei Stimmen hatten die Obersten Richter den Weg zur Anklage freigegeben. Ein TV-Interview mit Pinochet in Miami sowie seine Fähigkeit, millionenschwere Konten in der Riggs-Bank selbst zu führen, dienten als Beweis seiner geistigen Klarheit. Der so festgestrickte Bann der Unantastbarkeit von Chiles Ex-Diktator ist endgültig durchbrochen. Die Verteidigung kündigte neue Schritte an. Wahrscheinlich wird sie zunächst auf Freilassung gegen Kaution drängen.
"Dies ist der Höhepunkt einer langjährigen Arbeit. Der Fall Cóndor zeigt zweifellos am deutlichsten die Verwicklung Pinochets in diese Verbrechen. Er war von Anfang an dabei", sagt Anwalt Eduardo Contreras. Die Existenz der Operation Cóndor, weltweit spätestens seit den 80er Jahren bekannt, wurde 1992 durch die in Paraguay gefundenen so genannten "Terrorarchive" belegt.
"Kleine Dinge"
Pinochet selbst jedoch erklärte vor Richter Guzmán, sich an eine Operation Cóndor nicht zu erinnern und keine Informationen über so "kleine Dinge" wie das Verschwinden von Personen gehabt zu haben. "Das war auch nicht mein Problem, weder Cóndor noch sonstwas. Ich war Präsident. Danach kamen die Geheimdienste", sagte er im September bei einem ersten Verhör aus.
Doch diese Lügen werden ihm kaum noch helfen. Nach Angaben des damaligen DINA-Chefs Manuel Contreras, auf dessen Initiative die Operation Cóndor zurückgehen soll, trafen sich beide täglich zur Aufgabenbesprechung. Und die chilenische Zeitung "La Nación" enthüllte am Montag ein Dokument der DINA von 1976. Pinochets Unterschrift darunter soll eindeutig beweisen, dass er der Organisation vorstand.
Gesellschaftliche Isolation
Inzwischen ist es in Chile um den 89-Jährigen einsam geworden. Zu Weihnachten kamen nicht mehr wie gewohnt Generäle, Unternehmer und Politiker zu Besuch. Und sogar die Pläne für dessen Todesfall wurden, wie in den letzten 15 Jahren je nach seiner gesellschaftlichen Position häufig geschehen, erneut geändert. Weder Staatsehren noch nationale Trauer wird es nun geben. Dafür um so mehr Ermittlungen und Verfahren, für die das Urteil des Obersten Gerichts den Weg endgültig frei gemacht hat.