Der seit Wochen erwartete leichte Anstieg der Infektionszahlen ist nun da. Nun kommt es auf das Contact Tracing an.
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Es geht wieder bergauf, und das seit einigen Tagen. Die Zahl der aktuell Infizierten ist auf 600 gestiegen, dabei war man in Österreich bereits unter 400 gefallen. Doch der Anstieg kommt alles andere als unerwartet. Vielmehr waren sich alle Fachleute vor Wochen, als die Lockerungen begannen, einig, dass die Infektionen steigen werden, wenn die Zahl der sozialen Kontakte wieder zunimmt. Doch das passierte lange nicht. Bis jetzt. Umso wichtiger wird nun das Contact tracing, also die Ermittlung der Kontakte von Infizierten.
Die Zahl der Neuinfektionen pendelte in den vergangenen Wochen hin und her, es gab ein paar Ausreißer, einige Cluster mit mehr Infizierten. Die Entwicklung war aber stabil. Nun gibt es den ersten nachhaltigen, wenn auch (noch?) kleinen Anstieg. Das zeigt vor allem ein Blick auf Durchschnittswerte der vergangenen Tage. Mit Verzögerung ist also das eingetreten, was vor Wochen vermutet wurde. Die entscheidende Frage ist: Lässt sich das Infektionsgeschehen auf diesem etwas höheren Niveau stabilisieren?
Bereits jetzt von einer zweiten Welle zu sprechen, wäre zu früh. Die Niederlande etwa kamen nie auf eine derart niedrige Inzidenz wie Österreich oder Deutschland herunter, dennoch brachten sie die Epidemie unter Kontrolle. Der Virologe Christian Drosten der Charité Berlin sagte in einer Pressekonferenz in Wien vor zwei Wochen, dass man von einer "zweiten Welle" sprechen würde, "wenn das Virus in einen exponentiellen Anstieg hineinkommt". Das ist derzeit nicht der Fall, doch die Zahlen gehen auch in anderen Ländern etwas nach oben. Wie schnell es gehen kann, sah man freilich im März.
Weitere Lockerungen treten am Mittwoch in Kraft
Die Behörden fühlen sich nun aber besser vorbereitet, das sogenannte Contact Tracing funktioniert, es stehen auch mehr Testkapazitäten zur Verfügung, und die Bevölkerung hat dazugelernt und ist aufmerksamer geworden. Nach wie vor sind auch Einschränkungen in Kraft, doch weitere Lockerungen treten am Mittwoch in Kraft. Bisher waren die Lockerungen auch mit Verhaltensänderungen verbunden. Alte Gewohnheiten, die Mensch und Virus leider gleichermaßen schätzen, sind da und dort eingerissen.
Es zeigt sich, dass der Übergang vom rigiden Regelwerk und vielen Vorschriften zu mehr Eigenverantwortung sehr schwierig ist. Die Menschen halten sich zwar weiterhin an die Vorgaben, das Ende der Maskenpflicht in Geschäften hat aber etwa dazu geführt, dass die meisten Menschen den Mund-Nasen-Schutz dort auch tatsächlich ablegten. Dabei ist die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme dieselbe wie vor Wochen.
Wenige Superspreading-Events
Es gibt aber auch positive Erkenntnisse aus dem Juni. So sind in Schulen zwar vereinzelt Corona-Fälle bekannt geworden, und auch am Montag musste in Tulln eine Schule geschlossen werden, nachdem sich ein Lehrer infiziert hatte. Doch zu Massenansteckungen ist es in Bildungseinrichtungen nicht gekommen, auch nicht in Büros und in der Gastronomie.
Das hat (auch) mit der sogenannten Überdispersion zu tun, einer spezifischen Eigenschaft des Virus, das bereits bei Sars-1 auftrat. Viele Infizierte geben das Virus nur an wenige oder gar niemanden weiter, einige wenige jedoch gleich an sehr viele Personen. Man spricht dann von Superspreadingereignissen.
Einige dieser Ereignisse gab es zuletzt auch hierzulande, doch sie verliefen glimpflich. Glück braucht man eben auch, wie das Beispiel des Rotary-Clubs in Salzburg zeigte. Es war ein Treffen wie viele andere derzeit im ganzen Land. Ein Vortrag, ein gemeinsames Abendessen in einem großen Extrazimmer eines Restaurants. Dennoch waren plötzlich 15 von 26 Teilnehmern infiziert. Das ist schon sehr viel. Die Kontagiosität dürfte stark variieren, gut möglich, dass dasselbe Treffen einen Tag später zu einem ganz anderen Verlauf geführt hätte. War es also nur Pech? Glück im Unglück war wiederum, dass der Superspreader Gast einer Club-Veranstaltung war. Das erleichterte das Contact Tracing. Dennoch war das Magistrat mit 30 Mitarbeitern beschäftigt. Es geht auch um Geschwindigkeit.
Ressourcen für Contact Tracing werden erhöht
Die Nachverfolgung, Isolierung und Testung der Kontakte von Infizierten ist der Schlüssel, eine zweite Welle zu verhindern, wie auch die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl von der MedUni Wien sagt. Wenn die Inzidenz so hoch wird, dass die Kontaktverfolgung nicht mehr funktioniert, dann wäre die Containment-Strategie gescheitert. Das passierte auch im März.
Diese Rückverfolgung ist sehr aufwendig. Das Land Salzburg hat deshalb einen Assistenzeinsatz des Bundesheers angefordert. 45 Soldaten unterstützen die Bezirkshauptmannschaften beim Contact Tracing, parallel arbeitet auch das Gesundheitsministerium daran, flexible Teams zu bilden. Laut Epidemiegesetzes können Sanitäter für diese Tätigkeiten herangezogen werden.
Die Kapazitätserweiterung ist auch deshalb wichtig, weil ab Juli die nächsten Lockerungen in Kraft treten. So sind ab Mittwoch Veranstaltungen mit gekennzeichneten Sitzplätzen in geschlossenen Räumen mit bis zu 250 Personen zulässig. Die Bundesregierung hofft auf ein "freiwilliges Tracking", dass sich also Teilnehmer registrieren, und auch die App könnte gerade für den Veranstaltungsbereich nützlich sein, da es die schnellstmögliche Form einer Warnung bietet.
Das Ergebnis des Rotary-Treffens in Salzburg machte deutlich, wie heikel die Situation ist. Bei diesem Vortrag waren 26 Teilnehmer dabei. Ab Mittwoch dürfen es 250 Personen sein.