Horst Köhler hat schon vor seiner Wahl zum deutschen Bundespräsidenten angekündigt, sich in aktuelle politische Debatten einzubringen und sich dabei kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Gestern, Dienstag, stellte er sein Credo wieder einmal unter Beweis: Zwei Tage vor dem Job-Gipfel, auf dem Kanzler Gerhard Schröder sein Maßnahmenpaket zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit vorstellen wird, preschte Köhler mit eigenen Vorschläge vor - und wurde dabei auch politisch. Rot-Grün wirft ihm schlicht Amtsmissbrauch vor.
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Köhlers Grundsatzrede beim Forum der Arbeitgeber in Berlin war nicht gerade dazu angetan, die Stimmung des SPD-Kanzlers zu heben. Der ehemalige Weltbankmanager und Unionssympathisant legte mit sichtlicher Genugtuung den Finger auf dessen größte Wunde - den Nachkriegsrekord bei den Arbeitslosen (die im Februar erstmals die 5,2-Mio.-Marke erreicht hatten) - und fuhr auch gleich mit Gegenkonzepten auf, die die Regierung in Rage bringen.
Es waren, wenig überraschend, genau jene Losungen, mit denen CDU-Chefin Angela Merkel und CSU-Chef Edmund Stoiber morgen in das Gespräch mit dem Kanzler gehen wollen - nämlich Bürokratieabbau, betriebliche Bündnisse für Beschäftigung, Senkung der Lohnnebenkosten, Änderungen im Arbeitsrecht und eine umfassende Steuersenkung.
Angetan war die Opposition, entsprechend verschnupft die Regierungsseite, die dem Ökonomen schlicht eine Übertretung seiner Kompetenzen vorwirft. Köhler werde "zunehmend eine Rolle eingeräumt, die ihm weder verfassungsrechtlich noch politisch zusteht", schäumte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Müller. Problematisch sei es schon, dass Köhler eine Rede zur wirtschaftlichen Lage der Nation auf Einladung nur vor Wirtschaftsvertretern halte. "Noch problematischer" sei allerdings, dass er sich unter dem Deckmantel der Überparteilichkeit in konkrete politische Inhalte einmische, deren Thematisierung Sache von Bundestag und Regierung, nicht aber des Staatsoberhauptes sei. "Nichts gegen Herrn Köhler, aber die Rollen müssen schon klar bleiben", kochte der SPD-Politiker.
Es war nicht das erste Mal, dass der stets kühl und distanziert auftretende Politiker bei brennheißen Themen mit persönlichen Positionen aufwartete. Legendär geblieben ist dabei seine Aussage hinsichtlich des innerdeutschen Ost-West-Gefälles, das in der ehemaligen DDR noch immer ein äußerst sensibles Thema ist. Die Ostdeutschen sollten sich, meinte Köhler sinngemäß, endlich die Hoffnung abschminken, dass das Wohlstandsniveau in den kommenden Jahrzehnten erreicht werden könne. Diese Realität hatte vor ihm noch kein Politiker auszusprechen gewagt, weder ein "rechter" noch ein "linker".
Auch sonst hielt der Bundespräsident, von dem der Satz stammt, "ich will notfalls unbequem sein", mit seinen Ansichten über tagespolitische Streitthemen nicht hinterm Berg. Er sieht sich dabei gerne als Stimme des Volkes. Die Unlust des politischen Establishments an Reformen kommentierte er mit den Worten, die Bürger hätten "vom ständigen Herumtaktieren gründlich die Nase voll".
In Deutschland weiß man inzwischen auch: Horst Köhler ist für die Einführung von Studiengebühren, den Elitegedanken in der Bildung und - ganz im Sinne der Wirtschaft - für die Opferung des deutschen Nationalfeiertags (3. Oktober).