"Demokratischer Sozialismus? Gab es da nicht schon eine Partei mit diesem Namen?", fragte Gerd Zimmermann, Sprecher der Thüringer Hochschulrektoren nach dem SPD-Parteitag, der am Wochenende ein neues Programm mit eben diesem Schlüsselbegriff beschlossen hatte. Er spielte damit auf die SED an, die sich nach dem Mauerfall in "Partei des demokratischen Sozialismus" umbenannte.
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Das Bemerkenswerte an dem Reizwort "Sozialismus" ist nicht die Tatsache, dass es überhaupt im "Hamburger Programm 2007" steht - dies tat es auch schon in allen Vorgängerprogrammen -, sondern dass es immer noch drin steht.
Natürlich sind viele Floskeln in jedem Parteiprogramm bloße Etiketten, unter denen jeder was anderes verstehen darf. Für den Jenaer Politologen Torsten Oppelland trägt die Formel gleichwohl eine politische Botschaft in sich, weil die SPD den Begriff des "demokratischen Sozialismus" nicht kampflos der Linkspartei überlassen wolle. Außerdem sieht Oppelland darin "einen Schritt zurück hinter das Sozialstaatsverständnis der Agenda 2010."
Ex-Kanzler Gerhard Schröder hatte seiner Partei mit seinen Reformvorhaben zu viel zugemutet, sie fühlte sich förmlich überrollt. Die Niederlage bei der Bundestagswahl wurde sofort auf die "neoliberale Wende" Schröders zurückgeführt. Hinzu kam das Erstarken der neuen Linkspartei. Kurt Beck, nun SPD-Vorsitzender, gelang mit dem neuen Programm - das alte "Berliner Programm 1989" galt schon wenige Monate nach der Beschlussfassung als überholt - und weiteren Parteibeschlüssen ein doppelter Befreiungsschlag: Er demonstrierte Führungsstärke und revidierte zumindest verbal und symbolisch den Agenda-Kurs des Duos Schröder-Müntefering.
Fast alle Kommentare sprechen von einem Linksruck. Parteipolitisch betrachtet kommt dies der Union zugute, weil für sie mehr Platz in der Mitte bleibt. Außerdem hätte sie jederzeit eine Absprungbasis für Neuwahlen, falls die SPD den im Koalitionsübereinkommen beschlossenen Weg verließe. Und dem Konkurrenzkampf auf der Linken könnte sie als stärkste bürgerliche Alternative mit der immer populärer werdenden Angela Merkel gelassen zusehen.
Staatspolitisch betrachtet könnte es allerdings zu einem neuen Reformstau kommen. So scheint nach dem Hamburger SPD-Parteitag die Bahnprivatisierung in weite Ferne gerückt. Auch die Demontage der gemeinsam beschlossenen Agenda 2010 wird die Mehrheitspartei nicht mitmachen. So kommt beispielsweise eine Verlängerung des (höheren) Arbeitslosengeldes I bei älteren Arbeitnehmern für die Union nur in Frage, wenn sie kostenneutral bleibe, was die SPD klar ablehnte. Der neue CSU-Chef Erwin Huber hat bereits verlauten lassen, dass man der SPD "nichts durchgehen" lassen werde, "am wenigsten ihre Hinwendung zu alten sozialistischen Thesen."