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Parteitag verabschiedet Sozialagenda, Kanzlerin Merkel führt in allen Umfragen.
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Berlin. Fehlendes Vertrauen: Das dürfte das größte Problem der Sozialdemokraten sein. Im Herbst wollen sie den nächsten Kanzler stellen, etliche Wähler haben sich aber längst von der SPD verabschiedet. Das Thema Gerechtigkeit soll sie wieder zurückholen. Man werde "besser" und "gerechter" regieren als Angela Merkels rechtsliberale Koalition. Und die Bürger sollen wieder im Mittelpunkt stehen, nicht "die Interessen anonymer Finanzmärkte". So steht es im "Regierungsprogramm", das die Genossen am Sonntag auf ihrem Parteitag in Augsburg verabschieden.
Einfach wird es für die SPD nicht. Denn auch wenn die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergeht und die Eurokrise mit Sparpolitik und hoher Arbeitslosigkeit in vielen Ländern auch die Deutschen verunsichert - bisher profitiert die SPD davon nicht. Kanzlerin Merkel ist beliebt. Und unter ihrer Führung erhielt die CDU einen sozialeren Anstrich. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück war dagegen wochenlanges mediales Dauerthema mit seinen hohen Zusatzeinkünften neben der Tätigkeit als Parlamentarier. Seine zunächst forschen Stellungnahmen regten zusätzlich auf. Kaum legte sich die Entrüstung ein wenig, nannte Steinbrück den früheren italienischen Premier Silvio Berlusconi einen "Clown". Ein Nimmersatt, der sich zudem verbal nicht im Griff hat - gegen dieses Bild von Steinbrück müssen die Sozialdemokraten nun ankämpfen. Und die Medien stürzen sich auf jeden tatsächlichen oder vermeintlichen Fauxpas, aus Mücken macht man Elefanten, aus wenig Bedeutsamem wird ein kleiner Skandal.
Bei der Wahl geht es freilich nicht nur um Steinbrück. Ganz stark geht es um das Angebot, das die SPD den Wählern macht. "Wir werden keinen, der Frau Merkel dufte findet, davon überzeugen, Steinbrück zu wählen. Das wird nicht klappen", sagt Parteichef Sigmar Gabriel. Man müsse besonders um die Nichtwähler kämpfen. "Am Ende des Tages werden in Deutschland Parteien gewählt." Und das war in den vergangenen Jahren der kritische Punkt. Von der SPD fühlten sich viele nicht mehr vertreten. Für wen die Genossen nun Politik machen wollten, empfand man als unklar. Die SPD predige Wasser und trinke Wein. Auch deshalb dürfte man bei Steinbrück, der nie dem "linken Flügel" angehörte, besonders sensibel sein.
Soziale Wahlkampf-Ader
Im "Regierungsprogramm" wird die Agenda 2010 - die Änderungen im Sozialsystem und auf dem Arbeitsmarkt unter Gerhard Schröder, die für viele gleichbedeutend sind mit der verhassten Langzeitarbeitslosenregelung "Hartz IV" - zwar weiterhin gelobt. Doch hat man einige Änderungen festgeschrieben. Von der einst hochgelobten Leiharbeit liest man jetzt, dass diese "zunehmend zur Umgehung von Kollektivverträgen und Lohndumping" genutzt worden sei. "Für gleiche und gleichwertige Arbeit muss gleicher Lohn gezahlt werden." Die SPD tritt für einen gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro ein.
Der Spitzensteuersatz bei der Einkommenssteuer - von Rot-Grün gesenkt - soll von 42 auf 49 Prozent steigen. Der Mittelstand, also kleinere und mittlere Unternehmen mit einem Jahresumsatz von höchstens 50 Millionen Euro, solle "nicht gehindert werden, seine Eigenkapital-Basis zu stärken", sagte Steinbrück kürzlich auf einer Veranstaltung in Berlin. Der Fokus werde auf private Vermögen gelegt, nicht auf betriebliche.
Viel Platz nimmt der Bereich Finanzmärkte ein. Geplant sind eine Finanztransaktionssteuer und eine Trennung von Investment- und Geschäftsbanken. Steuerzahler dürften "nie wieder in Geiselhaft der Banken und Spekulanten genommen werden". Je größer eine Bank sei, umso höhere Eigenkapitalvorschriften habe sie zu erfüllen. Und im Aktiengesetz müsse festgeschrieben werden, dass Unternehmen nicht nur den Aktionären, sondern auch "den Arbeitnehmern und dem Wohl der Allgemeinheit" verpflichtet seien. Bund, Länder und Kommunen müssten Schulden abbauen, wenn auch nicht auf Kosten von - nicht konkretisierten - "Zukunftsausgaben".
Anders als das Programm der SPD sei Merkels Politik nicht sozial. Sie gebe sich nur einen solchen Anschein, kritisieren die Sozialdemokraten. Als Beispiel nennen sie die sogenannten Lohnuntergrenzen, die die CDU anstelle eines Mindestlohnes favorisiert.
"Zu blöd zum Googeln"
Diese sollen für jene Branchen gelten, für die es bisher keinen Kollektivvertrag gibt. Die Grenzen werden von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite verhandelt, sie können abhängig von Alter oder Region schwanken - für die Sozialdemokraten ist das alles andere als sozial und gerecht.
Doch während sich die Genossen selbst als einzig wählbare soziale Partei darstellen und das Bild von einer ungerechten SPD zu korrigieren versuchen, greift man für das Wahlkampfmotto ausgerechnet auf den Werbespruch einer Leiharbeitsfirma zurück - unwissentlich zwar, doch gespottet wird lautstark, seit dies bekannt geworden ist. "Zu blöd zum Googeln", titelt etwa die "taz". An "Das WIR entscheidet" will die SPD dennoch festhalten. Und Umfragen seien keine Wahlergebnisse, heißt es zu den schlechten Werten. Am Freitag überholte CDU-Chefin Merkel sogar beim Thema "Soziale Gerechtigkeit" im ZDF-Politbarometer erstmals ihren sozialdemokratischen Herausforderer.
Schon in wenigen Monaten werde man mit den Grünen regieren, davon ist die SPD-Spitze dennoch überzeugt. Seit der großen Niederlage vor vier Jahren sei viel passiert: "Wir haben zwölf Landtagswahlen gut bestritten", sagt SPD-Chef Gabriel. Und im "Spiegel" ließ Steinbrück kürzlich in Bezug auf flapsige Aussagen wissen, dass man sich darüber nicht den Kopf zerbrechen brauche: "Ich werde als Kanzler kanzlergemäß sprechen."