Beim Nachfolger von Hartz IV erzielen die deutschen Konservativen drei Verhandlungserfolge.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Selbst der Chef der größten Oppositionskraft war verblüfft. "Die Koalition war sehr schnell und - zu meiner Überraschung - sehr weitgehend bereit, hier Kompromisse zu machen", sagte CDU-Chef Friedrich Merz am Dienstag. Zuvor einigten sich die rot-grün-gelbe Bundesregierung und die konservative Union auf eine neue Grundsicherung für Arbeitslose. Das sogenannte Bürgergeld soll ab Anfang kommenden Jahres die bei den Sozialdemokraten unbeliebte Hartz-IV-Regelung ablösen, die einst unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder ersonnen wurde.
Um die "größte Sozialreform seit 20 Jahren", so die parlamentarische Geschäftsführerin der SPD, Katja Mast, durchzubringen, verzichten die Genossen auf drei Kernpunkte der Bürgerversicherung. Erstens, die halbjährige "Vertrauenszeit" fällt. Ursprünglich sollten Leistungskürzungen in diesem Zeitraum nur eingeschränkt drohen; um zehn Prozent, wenn eine Person mehrfach Termine beim Jobcenter nicht wahrnimmt. Nun sind Sanktionen von Anfang an möglich, die bis zu 30 Prozent des Leistungsanspruchs ausmachen können. "Damit ist im Grunde der Kern des Bürgergeldes, so wie es die Koalition geplant hatte, gestrichen", sagte Merz.
Kleineres "Schonvermögen"
Zweitens, auf Wunsch der Union wird das "Schonvermögen" verringert. Bürgergeld-Bezieher müssen vor Inanspruchnahme nicht ihre gesamten Ersparnisse aufbrauchen. Von ursprünglich 60.000 Euro wird die Grenze auf 40.000 Euro bei Alleinstehenden gesenkt. Für jede weitere Person im Haushalt wird der Betrag von 30.000 Euro auf 15.000 Euro verringert.
Halbiert wird, drittens, auch die "Karenzzeit". Nur noch ein Jahr ab Beginn des Leistungsbezugs werden die Kosten für die Wohnung übernommen, ohne die Angemessenheit der Wohnungsgröße zu überprüfen.
Ungeachtet der Änderungen jubelte SPD-Politikerin Mast: "Hartz IV gehört damit der Geschichte an." Mit der Einigung würde ein "Kulturwandel" eintreten, hin zu besseren Qualifizierungsmaßnahmen und langfristigen Jobs. In welche Tätigkeitsfelder der Arbeitslose vermittelt werden soll und welche Fördermaßnahmen dazu notwendig sind, soll künftig einvernehmlich vereinbart und nicht mehr vom Jobcenter vorgegeben werden. Auch die Pflicht zur Annahme eines Jobs fällt.
Außer Streit stand zwischen der Bundesregierung und den Konservativen, dass die Beitragssätze gegenüber Hartz IV deutlich angehoben werden. Eine alleinstehende Person erhält statt 449 Euro monatlich für den Lebensunterhalt künftig 502 Euro. Jenes Plus von 11,8 Prozent liegt somit über der für 2023 erwarteten Inflationsrate.
Zwischen Regierung und Konservativen kann der Gesetzesvorschlag nun an den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat übermittelt werden. In der Länderkammer versagten die Regierungen mit Beteiligung von CDU und CSU vor zwei Wochen dem Bürgergeld die Zustimmung. Sollte der Vermittlungsausschuss aus je 16 Mitgliedern von Bundestag und -rat dem Kompromiss wie geplant am Mittwoch zustimmen, könnten beide Parlamentskammern noch diese Woche darüber abstimmen und das Gesetz ab Anfang 2023 in Kraft treten. Dieses Datum ist erklärtes Ziel von Arbeitsminister Hubertus Heil für eines der wichtigsten SPD-Vorhaben in der Legislaturperiode.