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SPD: Szenen einer Wiederauferstehung

Von WZ-Korrespondent René Hamann

Politik

Die Sozialdemokraten galten als abgeschrieben, doch knapp vor der Wahl haben sie den Erfolg vor Augen.


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Gerechnet haben sie damit selbst nicht. Aber irgendwann nach der Flutkatastrophe im Ahrtal und in der Eifel war es so weit: Die SPD, die vor einem Jahr auf den dritten Platz gefallen war und eher als weiter absturzgefährdet galt, diese SPD, die scheinbar immer noch an den Fehlern von Rot-Grün 1998 bis 2005 laborierte, während sie von eigener guter Regierungsarbeit unter Schwarz-Rot kaum zu profitieren schien, war in den Umfragen plötzlich punktgleich mit der Union. Man hatte AfD und FDP abgehängt, war an den fehleranfälligen Grünen vorbeigezogen und stand knapp zwei Monate vor der Bundestagswahl, auf einer Stufe mit dem Regierungspartner.

Wenige Tage später zog die SPD dann sogar an der Union vorbei. Und vor dem zweiten Triell mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (Grüne) und den Kandidaten Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) in ARD und ZDF sollte die Partei den Vorsprung ausbauen. Die frühzeitige Kandidatur des Finanzministers Scholz, davor die Basiswahl der Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, die vorsichtige Kurskorrektur in der Sozialpolitik, das stillere, dafür konsequente Krisenmanagement in der Pandemie - alles, was vor kurzem noch belächelt oder achselzuckend akzeptiert wurde, schien sich jetzt auszuzahlen.

Freude im Willy-Brandt-Haus

Man sollte also meinen, es herrsche eitel Sonnenschein im Lager der Sozialdemokraten. Als könnten sie ihr Glück selbst kaum fassen. Aber ganz so ist es nicht. In der Partei, die in den Merkel-Jahren arg gelitten hat, bleibt man vorsichtig. Dabei spielt den Roten alles in die Hände: Der vergebliche Machtkampf des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder mit Laschet, Baerbocks ungeschicktes Verhalten, Laschets Auftreten, das eher an Slapstick erinnert als an einen seriös geführten Wahlkampf, die gesamte Selbstverzwergung der CDU, die den Scheinriesen SPD tatsächlich wachsen lässt: Die Partei hat eine Wiederauferstehung erfahren, wie sie lange niemand für möglich hielt.

Und so dringt aus dem Willy-Brandt-Haus in Berlin-Kreuzberg, der Parteizentrale der SPD, in der Woche der Wahl natürlich nichts, was einen Erfolg eventuell noch gefährden könnte. Hinter vorgehaltener Hand jedoch herrschen Nervosität und vorsichtiger Optimismus. "Eine Trendwende ist nicht erkennbar", so eine der vielen Stimmen aus der Partei, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchten. "Dennoch könnte es knapp werden."

"Ausgangshypothese war", so eine dieser Stimmen, "dass das Erbe Merkels gekürt werden würde: Also jemand, der Stabilität garantiert, aber den notwendigen Wandel entschlossener vorantreibt". Olaf Scholz, der "Scholzomat", stets darum bemüht, hanseatisch kühl und kontrolliert aufzutreten, könnte dieser Jemand sein. Der Name Helmut Schmidt fällt in diesem Zusammenhang oft - Schmidt, der "Technokrat", der Bundeskanzler der Jahre 1974 bis 1982 als Vorbild, Leitbild, Folie für Scholz und seinen unaufgeregten Stil. Die Profilbeschreibung jedenfalls passt. Was beinahe ironisch anmutet. Denn Scholz hat sich nicht aus dem Schatten der anderen nach vorne gekämpft, sondern ist eher durch die Fehler der anderen in Front gerückt.

In Skandale verstrickt

Dabei ist auch er bei weitem nicht fehlerlos - schafft es aber, diese zu ignorieren. Randale beim G20-Gipfel 2017, als Scholz Bürgermeister war, und die großen Finanzskandale CumEx und Wirecard perlten an ihm ab. Zuletzt musste er eine Razzia in seinem Finanzministerium erdulden. Aber: Es bleibt irgendwie nichts richtig an ihm haften. Wie auch immer er das hinbekommt: Es scheint zu funktionieren.

Und doch ist die Messe noch lange nicht gelesen. Die Wahl 2021 wird die spannendste seit dem Wechsel von Schröder zu Merkel im Jahr 2005.

Mittlerweile sind auch Laschet und sein Team aufgewacht. Markus Söder (CSU) hält die Füße still und bot seinerseits dem wankelmütigen Konkurrenten Laschet eine Bühne für einen ersten, wenn auch recht blindwütigen Angriff auf den Koalitionspartner. "In all den Entscheidungen der Nachkriegsgeschichte standen Sozialdemokraten immer auf der falschen Seite", sagte Laschet also in Nürnberg beim Parteitag der kleineren bayerischen Schwesterpartei - was ihm umgehend den Hashtag #RheinlandTrump einbrachte - wegen "Fake News" und Vorwürfen, die haltlos und unbotmäßig waren. Wobei es Laschet, wie er betonte, nicht um Außen- oder Sozialpolitik ging, sondern um "Wirtschafts- und Finanzpolitik". Angst machte Laschet der SPD damit nicht.

Und doch könnte es immer noch knapp werden. Laschet hat zum Angriff geblasen, nicht zuletzt beim letzten Triell. Die Union schürt die Angst vor dem "Sozialismus", der mit Rot-Rot-Grün drohe, und das, obwohl Scholz lieber mit der FDP als mit der Linken regieren würde und wohl auch gegen einen Positionswechsel innerhalb der einstmals abgelehnten großen Koalition mit der Union als Juniorpartner nichts hätte. Was soll es werden? Rot-Rot-Grün hat einige Befürworter. "Da freut man sich, dass dieses Bündnis rechnerisch möglich scheint", so eine Genossin aus dem linken Flügel der SPD, der derzeit stillhält. "Es ist für viele das Bündnis, mit dem man die nötigen sozialen und klimapolitischen Ziele erreichen kann."

Der Sieger darf starten

Andere sind vorsichtiger. "Welche Koalitionen möglich sind, wird sich erst am Wahlabend entscheiden", sagt eine Stimme aus der Mitte der Fraktion. So ist es: Eine Verschiebung weniger Prozentpunkte kann den Unterschied machen. Politisch ist die Reihenfolge wichtig: Wer als erstes, als stärkste Kraft durchs Ziel läuft, wird mit der Regierungsbildung beauftragt.

Sicherlich sind auch Koalitionen gegen die populärste Partei denkbar - entscheidend wird sein, wie die "Zünglein an der Waage" sich verhalten. Diejenigen, die in der SPD die Ampel (Rot-Grün plus FDP) bevorzugen, und das sind nicht wenige, werden sich genau anschauen, wie sich der Vorsitzende der FDP, Christian Lindner, verhält. Denn auf ihn wird es ebenso ankommen. Und darauf, welche Konstellation die sicherste zu werden verspricht - Rot-Rot-Grün oder die Ampel. Sollbruchstellen gibt es bei jeder Option, das ist den Sozialdemokraten bewusst.

Auch nach dem Wahlabend wird auf die SPD also eine Menge zukommen. Nur dürfte es diesmal zur Abwechslung nicht die Aufarbeitung einer Niederlage sein. Sondern die eines Wahlsieges.