Älteste Hinweise auf aus zwei Materialien zusammengesetzte Speere.
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Berlin. Die Vorfahren des modernen Menschen scheinen begeisterte Großwildjäger gewesen zu sein: Im heutigen Israel erlegten sie vor 780.000 Jahren gern Damwild und im heutigen Bilzingsleben im Norden des Thüringer Beckens standen vor 380.000 Jahren Elefanten und Nashörner auf dem Speiseplan. Die Jäger in Schöningen im Osten des heutigen Niedersachsen erbeuteten wiederum vor rund 320.000 Jahren vor allem Pferde, die sie wohl mit Jagdwaffen erlegten, deren Form heutigen Wettkampfspeeren ähnelte.
Sieben perfekte, bis zu 250 Zentimeter lange, komplett aus Holz gefertigte Speere haben von Jordi Serangeli von der Universität Tübingen geleitete Ausgrabungen dort zu Tage gefördert. Von ähnlichen, aber anders hergestellten und deutlich älteren Jagdwaffen berichten nun auch Jayne Wilkins und Michael Chazan von der Universität Toronto in Kanada in der Fachzeitschrift "Science".
Den Forschern waren bei Ausgrabungen 4,5 Kilometer nordwestlich der Stadt Kathu im Norden Südafrikas mehrere hundert, im Durchschnitt sieben Zentimeter lange Spitzen aus Bändereisenstein aufgefallen. Die Steine waren kunstvoll bearbeitet und lagen in einer Schicht, die etwa eine halbe Million Jahre alt ist. Die Handwerker sollten daher zur Art Homo erectus gehört haben, aus der sich der moderne Mensch Homo sapiens und die Neandertaler entwickelt haben.
Als Messer oder Schaber taugen diese Spitzen wenig, erkannten die Forscher rasch. Bei einigen von ihnen waren jedoch am breiten Ende Steinsplitter geschickt so abgeschlagen, dass man den Stein an dieser Stelle gut mit einem Schaft aus Holz verbinden konnte. Sollten die Wissenschafter die Spitzen von Speeren gefunden haben, mit denen Homo erectus dem Großwild nachgestellt haben könnte? Das wären die ältesten Hinweise auf aus zwei unterschiedlichen Materialien zusammengesetzte Speere. Bisher kannten die Forscher solche Gerätschaften allenfalls aus einer 200.000 Jahre jüngeren Epoche. Um ihre These im Praxistest zu überprüfen, schlugen die Forscher 32 ähnliche Spitzen aus dem in der Gegend reichlich vorhandenem Bändereisenstein, der nahe Kathu abgebaut wird. Diese Speerspitzen hefteten sie mit Hilfe von Akazienharz und Tiersehnen an Rundhölzer mit wenigen Zentimetern Durchmesser. Die so erhaltenen einfachen Speere können durchaus den Jagdwaffen vor einer halben Million Jahren geähnelt haben.
Test mit Springbock-Kadaver
Moderne Archäologen können im Speerwerfen allerdings vermutlich kaum mit versierten Steinzeitjägern konkurrieren. Obendrein legen Naturwissenschafter Wert auf einheitliche Versuchsbedingungen. Daher schossen die Forscher ihre Modellspeere mit einer Armbrust immer mit der gleichen Kraft auf die Kadaver von Springböcken. "Die nachgebauten Steinzeitspeere taten ihre Wirkung", berichten Wilkins und Chazan. Die Spitzen drangen gut und meist unbeschadet in das Fleisch der toten Tiere ein. Die Steinzeitjäger konnten damit also nicht nur zum erfolgreichen Großwildjäger avancieren, sondern ihre aufwendig hergestellten, zusammengesetzten Geräte auch wiederverwenden. "Nur bei zwei Versuchen zersplitterten die Spitzen so stark, dass wir sie nicht mehr verwenden konnten", erinnern sich die Archäologen. Die anderen zeigten erst nach etlichen Schüssen auf die Springbock-Kadaver kleine Risse im Stein, die den Forschern auch bei einigen der Speerspitzen aus der Steinzeit aufgefallen waren.
Offensichtlich hatten die Jäger vor einer halben Million Jahren ihre Speere also auf lebendes Großwild geschleudert. Denn mit Würfen auf bereits tote Tiere wie die Forscher des 21. Jahrhunderts dürften sich die Steinzeitjäger kaum aufgehalten haben.