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Spezialfall Covid-19-Intensivpatient

Von Petra Tempfer

Politik

Covid-19-Patienten belasten das Gesundheitssystem in mehrfacher Hinsicht: Schwer Erkrankte belegen bis zu viermal länger ein Intensivbett als andere Patienten und sind zudem besonders pflegeintensiv.


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Die Rechnung ist denkbar einfach - und die aktuelle Situation ist es daher nicht. Es geht um den Anteil der belegten Intensivbetten, konkret der zusätzlichen Belegung durch Covid-19-Patienten. In Wien waren mit Stand Freitag 206 der rund 500 Intensivbetten mit Covid-19-Patienten belegt. Österreichweit waren es 558 der insgesamt etwa 2.000, deren Anzahl stieg zu Beginn der Woche an. "Zumindest in Wien liegt die zusätzliche Belastung schon seit längerer Zeit zwischen 30 und 50 Prozent", sagt dazu Klaus Markstaller, Leiter der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie an der MedUni/AKH Wien und bis vor kurzem Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (Ögari). Schon im Normalbetrieb seien 75 bis 90 Prozent aller Intensivbetten belegt. Das Fatale daran: Covid-19-Patienten belegen bis zu viermal länger ein Intensivbett als andere Patienten und benötigen zudem eine engmaschigere Überwachung und Therapie.

1.600 Euro pro Bett und Tag

Was dieser Anteil zwischen 30 und 50 Prozent bedeutet? Bei dieser zusätzlichen Belegung komme es zur Priorisierung von Patienten, so Markstaller zur "Wiener Zeitung". Wichtige Eingriffe, die nicht akut lebensnotwenig seien, müssten verschoben und Vorsorgeangebote zurückgeschraubt werden. An diesem Punkt sei man nun angekommen. Das könne bereits zu Prognoseverschlechterungen für Betroffene führen, ergänzt der jetzige Ögari-Präsident Walter Hasibeder. Übersteigt der außertourliche Bedarf die 50 Prozent-Marke, komme es zu einer kritischen Entscheidungssituation, wer das Intensivbett bekommt ("Triage"), "und es kommt zu einem Kollaps des Systems", sagt Hasibeder.

Schon lange vorher, bei 15 bis 30 Prozent zusätzlicher Belegung durch Covid-19-Patienten, habe man Maßnahmen gegen die Personalengpässe gesetzt. "Das ist mit Überstunden verbunden, und Urlaube werden zurückgegeben", konkretisiert Markstaller. Man habe nicht lebensnotwendige Eingriffe, nach denen voraussichtlich ein Intensivbett benötigt wird, verschoben. Gleichzeitig wurde auf den überlasteten Intensivstationen Personal aus anderen Bereichen eingesetzt - wegen geeigneter Qualifikation vorwiegend aus der Anästhesie. "Und weil das Personal dann im Operationssaal fehlt, mussten auch kleinere Eingriffe verschoben werden, bei denen nach der Operation in der Regel kein intensivmedizinischer Bedarf besteht", sagt Markstaller.

Dass Intensivbetten schon generell rar sind, liegt daran, dass sie eine besonders wertvolle Spitalressource sind. Sie kosten durchschnittlich rund 1.600 Euro pro Bett und Tag. Bei Covid-19-Intensivpatienten kommt dazu, dass sie pflegerisch aufwendiger sind, voneinander isoliert werden müssen und überdies länger auf der Intensivstation liegen. "Die durchschnittliche Liegedauer beträgt im Normalfall sieben bis neun Tage, bei Covid-19-Patienten sind es um die 20 Tage", sagt Markstaller. "Benötigen sie eine Ecmo-Therapie, sind es im Durchschnitt 29 Tage." Diese extrakorporale Membranoxygenierung (Ecmo), eine Art künstliche Lunge, wurde zur Behandlung von Patienten mit einem akuten Lungenversagen entwickelt. Speziell bei Covid-19-Patienten kommt diese laut Markstaller häufig zum Einsatz - und gehe mit einem enormen Pflegebedarf einher. "Um den Therapieerfolg bei akutem Lungenversagen zu verbessern, muss der Patient auch öfter in die Bauchlage gedreht werden. Bei den zahlreichen Kathetern, und da er meist sediert ist, ist das sehr aufwendig", so Markstaller.

Der Arbeitsaufwand bleibt trotz Impfen des Personals

Dass Ärztinnen und Pfleger nur in einem Ganzkörper-Schutzanzug zum Patienten gehen dürfen, macht die Sache nicht einfacher. "Eine Pflegeperson muss immer beim Patienten sein. Damit diese die Schutzkleidung nicht ständig wechseln muss, wenn sie etwas braucht, muss draußen zusätzliches Personal sein, um ihr alles zu reichen", schildert Markstaller aus der Praxis.

Das medizinische Personal sei nun zwar geimpft, und das habe die Situation auch entschärft - aber nur in psychologischer Hinsicht. Die Angst, selbst zu erkranken, sei nun geringer, sagt Markstaller; der Arbeitsaufwand sei geblieben.

"Intensivbereich ist dem Sparstift zum Opfer gefallen"

Gesunken sei indes die Anzahl der Betten - und zwar in den vergangenen 20 Jahren um 15 bis 20 Prozent im stationären Bereich, kritisiert der Intensivmediziner Eiko Meister, Vizepräsident und Obmann der Kurie Angestellte Ärzte der Ärztekammer Steiermark. Die Intensivkapazitäten habe man in dieser Zeit ebenfalls nicht im notwendigen Ausmaß ausgebaut, obwohl der Anteil der älteren Menschen in der Bevölkerung wächst. "Dafür, dass auch der Intensivbereich dem Sparstift zum Opfer gefallen ist, bekommen wir jetzt die Rechnung präsentiert", so Meister. "Das ist beschämend für eines der reichsten Länder Europas." Auch das Pflegepersonal könne man nicht so rasch aufstocken, weil die Ausbildung mit drei Jahren schon generell lang sei und die Zusatzausbildung für die Intensivmedizin weitere drei Jahre dauere. Geeignetes Personal sei also - genauso wie die Intensivbetten - ebenfalls rar.

Das AKH Wien hat jedenfalls bereits Aufwachräume zu weiteren Intensiveinheiten umfunktioniert. Zudem haben westliche Bundesländer angekündigt, Intensivpatienten aus der derzeit massiv betroffenen Ostregion aufzunehmen. Die Frage ist nur, wie lange es österreichweit noch Kapazitäten gibt. Und: Die Überbelegung durch Covid-19-Patienten verkompliziert die ohnehin schon komplexe Logistik der Aufteilung der Notfälle auf diverse Spitäler durch deren unterschiedliche Spezialisierungen noch einmal deutlich.

Die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus pendelt jedenfalls seit Wochen auf hohem Niveau. Am Freitag wurden 2.416 neue Fälle innerhalb der vergangenen 24 Stunden gemeldet. Die Intensivfälle werden erfahrungsgemäß erst etwa 14 Tage nach der Erkrankung akut. 9.843 Personen sind bisher an und mit Covid-19 gestorben.