Für neu eingestellte begünstigte Behinderte gilt der besondere Kündigungsschutz grundsätzlich erst ab dem fünften Dienstjahr.
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Behinderte mit einem Behinderungsgrad von mindestens 50 Prozent ("begünstigte Behinderte") genießen in Österreich einen besonderen gesetzlichen Kündigungsschutz. Die Kündigung ihres Dienstverhältnisses bedarf grundsätzlich der (vorherigen) Bewilligung des Bundessozialamtes (BSA). Diese Behörde darf ihre Zustimmung nur aus den im Gesetz genannten Kündigungsgründen erteilen.
In der Praxis fällt es Arbeitgebern in der Regel äußerst schwer, einen begünstigten Behinderten zu kündigen. Eine im Vergleich zu den anderen Mitarbeitern geringere Arbeitsleistung des Behinderten genügt für die Kündigung meist nicht. Dies gilt selbst dann, wenn die Minderleistung mit der Behinderung in keinem Zusammenhang steht. Auch der Entfall des konkreten Arbeitsplatzes wird nicht zwingend als Kündigungsgrund akzeptiert. In einem solchen Fall muss der Arbeitgeber nach einer anderen Verwendungsmöglichkeit suchen. Sollte der Behinderte die Arbeit eines nicht besonders kündigungsgeschützten Kollegen übernehmen können (und wollen), so müsste allenfalls dieser Kollege an Stelle des Behinderten gekündigt werden.
Da dieser weitreichende Kündigungsschutz zunehmend auch von Behindertenverbänden als Einstellhemmnis gesehen wurde, hat der Gesetzgeber im Vorjahr eine Lockerung des Kündigungsschutzes beschlossen (BGBl 2010/111). Im Gegenzug wurde die Ausgleichstaxe bei Nichterfüllung der "Behinderteneinstellungsquote" für größere Unternehmen (ab 100 Mitarbeitern) erheblich erhöht (auf 316 bzw. 336 Euro ab 400 Mitarbeitern).
Seit 1. Jänner 2011 findet der besondere Kündigungsschutz auf neu eintretende Behinderte grundsätzlich erst nach vierjähriger Dienstzeit Anwendung. Wird allerdings die Eigenschaft als begünstigter Behinderter erst nach Diensteintritt festgestellt, so greift der besondere Kündigungsschutz bereits nach sechs Monaten. Keine "Wartefrist" gilt für Behinderungen, die als Folge eines Arbeitsunfalls eintreten. Für am 1. Jänner 2011 bereits bestehende Arbeitsverhältnisse bleibt ein allenfalls bestehender besonderer Kündigungsschutz unverändert aufrecht.
Doch auch außerhalb des besonderen Kündigungsschutzes können sich Behinderte gegen Kündigungen unter bestimmten Voraussetzungen gerichtlich zur Wehr setzen. Zum einen gilt auch für sie der Schutz vor "sozialwidriger Kündigung" (sofern der Betrieb mindestens fünf Arbeitnehmer beschäftigt). Dies läuft auf eine Abwägung der wirtschaftlichen Interessen des Behinderten und jene des Arbeitgebers durch das Gericht hinaus. Es bleibt abzuwarten, ob die Lockerung des besonderen Kündigungsschutzes für Behinderte ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich verbessern wird. Andernfalls wird es Arbeitgebern auch in Zukunft schwer fallen, sich von behinderten Mitarbeitern zu trennen. Der Wegfall des besonderen Kündigungsschutzes würde nämlich durch den sozialen Kündigungsschutz wohl weitgehend kompensiert werden.
Zum anderen darf natürlich auch weiterhin eine Kündigung nicht wegen einer Behinderung erfolgen. Eine solche Kündigung wäre als unzulässige Diskriminierung gerichtlich anfechtbar. Aus der Sicht der Arbeitgeber können solche Diskriminierungsverfahren nur dann gewonnen werden, wenn der Nachweis eines sachlichen Kündigungsgrundes gelingt. Gerade in diesen Fällen ist die Einholung sachkundiger Beratung bereits im Vorfeld der Kündigung zu empfehlen.
Seit Jahresbeginn hat der Dienstgeber vor Einleitung eines Verfahrens beim BSA den Betriebsrat und die Behindertenvertrauensperson im Betrieb zu verständigen. Eine Sanktion für das Unterbleiben dieser Verständigung wurde nicht vorgesehen. Das BSA hat den Parteien vor der Einleitung des Verfahrens eine "Krisenintervention" anzubieten. Auch hierzu hat der Gesetzgeber nichts Näheres festgelegt, was verfassungsrechtlich bedenklich erscheint.
Andreas Tinhofer ist Experte für Arbeitsrecht in der Kanzlei MOSATI Rechtsanwälte. www.mosati.at