Österreichs Minister und Minsterinnen schauen öfter in einen Spiegel, als man gemeinhin denken würde.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Politik ist, entgegen dem rhetorischen Trend zu simplen Lösungen, ein mühsames Handwerk. Für Koalitionsregierungen gilt dies zum Quadrat, verlangt doch jeder Beschluss Einstimmigkeit im Ministerrat, der wöchentlichen Regierungssitzung.
Um den Weg zu diesem Ziel zu ebnen, ist es bei Koalitionsregierungen seit jeher üblich, jedem Minister einer Regierungspartei ein Vis-á-Vis aus der anderen gegenüberzustellen, ihn quasi zu "spiegeln".
Will ein Minister also ein Gesetzesvorhaben angehen, so muss er zuallererst einen Konsens mit seinem jeweiligen Spiegel erreichen. Dem Gegenüber fällt auch die Aufgabe zu, in Rückverhandlungen den eigenen Parlamentsklub, in der Regel meist den jeweiligen Bereichssprecher, in den Prozess einzubinden.
Das Spiegeln hat sich dabei über die Jahrzehnte als effizientes Akkordierungs- und Koordinierungssystem bewährt: "Effizienz ist in der Politik enorm wichtig, das Spiegeln hat den Vorteil fixer Paare, die einander gut kennen und aufeinander eingespielt sind", meint Heidi Glück, die einst das Kabinett von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel leitete.
Zu dieser Effizienz gehört auch, dass im politischen Konfliktfall Spielraum für Eskalation bleibt - und sich damit diese konstruktiv auflösen lassen. Einigen sich ein Minister und sein Spiegel nicht in einer Sachfrage, so nehmen sich die Regierungskoordinatoren - Medienstaatssekretär Josef Ostermayer für die SPÖ und Innenministerin Maria Fekter für die ÖVP - des Problems an.
Gelingt auch hier keine Einigung, fungiert ein Vieraugengespräch zwischen Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Josef Pröll als oberste und letzte Instanz. Dessen Institutionalisierung als Kanzler-Frühstück endete jedoch mit der Ära Gusenbauer.
Das System hat sich zwar bewährt, die fixen Minister-Pärchen sind aber auch nicht in Stein gemeißelt. So wird etwa das schwarze Innenministerium primär über den roten Klub gespiegelt. Und auch die Personen können mit dem Thema variieren: So ist etwa in Sachen Gesundheit Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner der Spiegel von Gesundheitsminister Alois Stöger. In Wirtschaftsfragen ist jedoch Sozialminister Rudolf Hundstorfer Mitterlehners Vis-á-Vis.
In der Ära Gusenbauer-Molterer 2006 bis 2008 waren auch die Bereichssprecher der Regierungsparteien institutionalisierte Mitglieder der jeweiligen Spiegelpärchen, mit Antritt von Faymann-Pröll kehrte man jedoch wieder zur alten Form rein ministerieller Spiegel zurück, die in Eigenregie ihren Klub einbinden. Glaubt man den Beteiligten, hat sich die Effizienz des politischen Verhandlungsprozesses dadurch deutlich erhöht.
Ob dafür die Einsicht, dass ständiges Streiten keiner Regierungspartei nutzt, oder doch die abgeschlankte Form des Spiegelns verantwortlich ist, bleibe vorerst dahingestellt.