Waren Theresa Mays bisherige Satzverluste bloß Vorrunden für einen Matchball der Konzerne in einem großen Finale?
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Nach Logik derer, die von der Diktatur der Konzerne sprechen - und das sind nicht wenige und gewichtig sind sie auch -, war das ganze Brexit-Geplänkel bisher nur ein Sammelsurium von Vorrundenspielen. Amusing, aber nicht wirklich ernst. Richtig heiß würde es erst jetzt. Nach dieser Lesart war das Nein von Westminster zum Deal von Premierministerin Theresa May mit der EU so etwas wie das Semifinale. Ins Finale ginge es jetzt. Endlich kämen die lästigen Kinkerlitzchen der europäischen Grundsätze vom Tisch, kämen Marktabsicherung und Konzernprofite auf den Tisch. Folgt man dem, ist unschwer zu erraten, wer und was in der Endrunde Politiker gegen Bosse auf der Strecke bleiben wird.
Setzte May von Anfang an auf diese Karte? Gehörte auch die historische Niederlage im Londoner Parlament vom Dienstag dazu? War sie am Ende ein Matchball? Der Matchball, den sie für sich entschied, auch wenn es die Welt noch nicht erkannt hat?
Eine Analyse der Zeitabläufe legt dies nahe. Ursprünglich sollten die Right Honorable Members von Westminster über ihren Scheidungsvertrag mit der EU am 11. Dezember abstimmen. Die Damen und Herren saßen schon brav auf ihren Plätzen, als Meldegänger von 10, Downing Street wissen ließen, sie würden erst am 14. Jänner dafür gebraucht. Mit dem Gefasel einer Pythia weissagte May Zugeständnisse seitens Brüssel. War nur noch schnell die Vertrauensfrage innerhalb ihrer Partei zu stellen. Die Fraktion gab ihr grünes Licht, womit sie nach parteiinternen Regeln bis Dezember 2019 vor Königsmördern in der eigenen Fraktion sicher ist.
Angesichts der heraufbeschworenen Terminnot im Hinblick auf das Austrittsdatum 29. März 2019 war das ein deutlich erkennbares Spiel auf Zeit für ein Ultimatum im Jänner: Stimmt ihr tatsächlich gegen meinen Deal, bleibt nur ein harter Brexit oder keiner. Dank der etwas archaischen und ganz und gar nicht demokratiefördernden Spielregeln von Westminster konnte die Opposition ad hoc keine Abstimmung erzwingen. Und so musste mit den Weihnachtsferien viel Zeit verstreichen. Zeit, auf die May setzte?
Konzerne werden via Berlin Nachverhandlungen erzwingen
Noch am Tag der Abstimmung posaunte Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, es werde keine Nachverhandlungen mit May geben. Es war das Wiener Echo zu Brüssels altem "Dieser Deal oder kein Deal". Doch welchen Stellenwert hat dieses Echo angesichts der Macht der Konzerne? Unschwer ist zu prognostizieren: In der einen oder anderen Form werden die Konzerne via Deutschland Nachverhandlungen erzwingen.
Sie müssen nicht, wie vielfach geglaubt wird, bei 26 EU-Staaten dafür vorstellig werden. Ihr Einfluss auf Berlin genügt, damit die deutsche Regierung ihre Sache in Brüssel politisch durchsetzt. Wie 2017 beim als Krebserreger verdächtigen Pestizid Glyphosat, für das der deutsche Ernährungsminister Christian Schmidt (CSU) im Alleingang in die Bresche sprang. Seine Stimme setzte eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung in der EU-Ministerrunde durch.
Längst pfeifen in Deutschland die Spatzen von den Dächern: Lobbyismus war gestern, Diktatur der Konzerne ist heute. Dafür sorgt eine Drehtür im politischen System in Berlin, durch die Politiker hineingehen und zu gebotener Frist als Bosse oder deren Berater herauskommen. Ihre Nomenklatura als V-Männer der Konzerne reicht von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder für den größten russischen Ölkonzern Rosneft, über Ex-Außenminister Joschka Fischer für Siemens, BMW und den Energieriesen RWE, Ex-Verkehrsminister Matthias Wissmann für den Deutschen Verband der Automobilbauer, diverse Ex-Landesministerpräsidenten, Ex-Finanzminister bis zu den höchsten Beamten in Bund und den Ländern. Längst hat man sich damit abgefunden, dass als Fazit gilt: Sie, die Konzerne, sind mächtiger als der Staat, diktieren Gesetze, zahlen kaum Steuern, haften nicht. Einer ihrer eloquentesten Sprecher, Hans Olaf Henkel, hat schon über die wichtigsten britischen TV-Sender Stimmung gemacht: "Nach dem Votum von Westminster ist jetzt Brüssel am Zug, die EU muss sich endlich bewegen."
Das alles beantwortet aber noch nicht die Frage, warum sich May so gegen ein zweites Referendum wehrt. Allerdings könnte es gerade nach einem solchen beim endgültigen Brexit bleiben. Der Pro-EU-Vorsprung beim Wählervolk ist, laut jüngster Demoskopie, bestenfalls marginal.