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Spiel mit der Sintflut

Von Daniel Bischof

Politik

Der IS setzt Wasser gezielt als Waffe gegen seine Gegner ein. Mögliche Sprengungen von Staudämmen könnten schwerwiegende Folgen haben.


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Berlin/Bagdad. Auf einmal waren die Schleusen des Falluja-Damms im Irak dicht. Immer mehr Wasser staute sich auf und überflutete weite Gebiete oberhalb der Staumauer. Sogar 100 Kilometer entfernte Flächen waren betroffen, die Stadt Abu Ghraib stand bis zu vier Meter unter Wasser.

Die Eroberung des Damms im April 2014 durch den sogenannten Islamischen Staat (IS) ist nur eines von vielen Beispielen, die ein Report der "Stiftung für Wissenschaft und Politik" nennt. Der Bericht "Wasser als Waffe: Der IS an Euphrat und Tigris" beschäftigt sich mit der systematischen Instrumentalisierung von Wasser durch die Terrormiliz. "Im Zuge seiner territorialen Ausbreitung hat der IS strategisch bedeutsame Wasserressourcen und weite Teile der Wasserinfrastruktur in Syrien und im Irak unter seine Kontrolle gebracht", schreibt Tobias von Lossow, der Autor des Reports. Mehrere wichtige Staudämme an Euphrat und Tigris befänden sich in der Hand der Terrormiliz, die seit 2014 auf unterschiedliche Weise Wasser als Waffe einsetze. Wie essenziell die Staudämme für den IS seien, würden die schweren und verlustreichen Gefechte um die Anlagen zeigen. Bereits Ende 2012 eroberten syrische Rebellen - die sich später dem IS anschlossen - die wichtigsten Talsperren in Syrien. Ab 2014 rückte der IS auch in den Irak vor, wo er innerhalb eines Jahres nahezu alle strategisch wichtigen Staudämme einnahm. Nicht alle Anlagen konnte der IS dauerhaft halten - einige bedeutsame Staudämme, wie etwa jener in Falluja, befinden sich aber weiterhin in der Hand der Terrormiliz. Die neu erworbenen Wasserressourcen setzte der IS gezielt ein: Leitungen wurden gekappt, Wasser wurde zurückgehalten, entzogen oder umgeleitet - Städte und ganze Provinzen wurden dadurch von der Versorgung abgeschnitten.

IS braucht selbst Wasser

Manche Regionen ließ der IS einfach überfluten - mit teils verheerenden Folgen. Die eingangs erwähnte Flutaktion des IS bei Falluja zerstörte über 10.000 Häuser und etwa 200 Quadratkilometer fruchtbares Ackerland. Bis zu 60.000 Menschen verloren ihre Lebensgrundlage. Durch den strategischen Einsatz des Wassers bei Falluja erzielte der IS auch einen militärischen Vorteil: Mit dem Aufstauen des Wassers vertrieb er die feindlichen irakischen Truppen am Ufer des Stausees oberhalb der Talsperre. Nachdem er das aufgestaute Wasser dann nach zwei Tagen abließ, konnten die nachkommenden Einheiten der irakischen Armee auf die IS-Stellungen nicht vorrücken.

Allerdings: Die Möglichkeiten der Terrormiliz für solche Militäraktionen sind limitiert. Denn einerseits braucht der IS das Wasser, um seine Mitglieder und die Bevölkerung in den eroberten Gebieten zu versorgen. Anderseits wird eine große Menge von Wasser zur Gewinnung und Verarbeitung von Rohöl benötigt, aus dessen Verkauf sich der IS hauptsächlich finanziert. Zudem dient die Versorgung mit Wasser und Strom laut dem Report auch "einem übergeordneten Ziel des IS in der Region: ein Kalifat zu etablieren, das staatliche Dienstleistungen bereitstellt." Die Machthaber in Syrien und im Irak hätten es nicht geschafft, eine flächendeckende Wasser- und Energieversorgung aufzubauen. In unterversorgten Regionen fülle der IS deshalb ein Vakuum aus. Nur wenn die Terrormiliz der Bevölkerung eine funktionierende Wasserversorgung anbiete, könne sie die besetzten Territorien halten.

"Am Rand der Apokalypse"

Ein Zwischenfall in der kosovarischen Hauptstadt Pritina zeigte, dass der IS auch in Europa dazu übergehen könnte, Wasser als Waffe einzusetzen. Im Juli 2015 wollten Mitglieder des IS den größten Wasserspeicher in Pritina vergiften. Die Tat konnte nur knapp vor der Ausführung verhindert werden. Sollte der IS militärisch stark zurückgedrängt und existenziell geschwächt werden, könnte es zu einem Worst-Case-Szenario kommen: "Gemäß seiner Ideologie befände sich der IS dann unmittelbar an der Schwelle zur Apokalypse und in einer finalen Schlacht mit seinen Feinden." Dammsprengungen oder die Öffnung aller Schleusen könnten kaum kalkulierbare Folgen haben und einen "sprichwörtlichen Untergang der betroffenen Region" verursachen.