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Halbinsel Krim könnte sich laut Experten Russland anschließen.
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Moskau/Kiew. Auf der prorussischen Halbinsel Krim in der Ukraine hat sich am Montag die Lage weiter zugespitzt. Russland hätte die ukrainischen Truppen auf der Krim in einem Ultimatum zur Aufgabe aufgefordert: Bis vier Uhr mitteleuropäischer Zeit sollten die ukrainischen Kräfte ihre Waffen niederlegen, ansonsten werde angegriffen, zitierte die russische Agentur Interfax Kreise des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Russland wies dies wenige Stunden später zurück. "Das ist völliger Blödsinn", sagte ein Stabsvertreter der russischen Schwarzmeerflotte am Montag Interfax.
Das russische Generalkonsulat in Simferopol stellt unterdessen - ähnlich wie im Konflikt mit Georgien 2008 - weiter russische Pässe an Angehörige der ukrainischen Spezialeinheit Berkut (Steinadler) aus. Die umstrittene Einheit, die in Kiew brutal gegen prowestliche Regierungsgegner vorgegangen war, war von der neuen ukrainischen Führung für aufgelöst erklärt worden.
Nicht gerade deeskalierend wirkte inmitten der brandgefährlichen Krise auch die Ankündigung Russlands, den Bau einer strategisch wichtigen Brücke zur Krim, die bisher nur durch zwei Straßen mit dem ukrainischen Festland verbunden ist, in Angriff zu nehmen. Die Arbeit an der vier Kilometer langen Verbindung von der russischen Halbinsel Taman über die Meerenge von Kertsch werde bald beginnen, teilte der russische Premier Dmitri Medwedew am Montag mit. Der Kreml hatte den Bau der Brücke 2010 mit dem mittlerweile entmachteten ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch vereinbart.
Und während weiter Berichte von bewaffneten Einheiten ohne Hoheitsabzeichen die Runde machten, die ukrainische Basen umstellt hielten, erklärte die neue prorussische Regierung der Krim, rund 6000 Angehörige der ukrainischen Streitkräfte seien in den vergangenen Tagen auf der Halbinsel übergelaufen - darunter auch ein Stützpunkt mit rund 45 MiG-Kampfjets. Das Verteidigungsministerium in Kiew nahm zu den Berichten nicht detailliert Stellung. Die Behörde teilte nur mit, alle Soldaten seien "ihrem Eid gegenüber dem ukrainischen Volk weiter treu".
Welche Zukunft die Krim - deren Wasser-, Gas- und Stromversorgung vom ukrainischen Festland kommt - hat, ob sie bei der Ukraine bleibt, ein russisches Protektorat oder gar ein Teil Russlands wird, ist derzeit völlig offen.
"Bei der Krim ist es möglich, dass man entweder den Weg der georgischen Teilrepubliken Abchasien und Südossetien geht, also den eines politisch, wirtschaftlich und militärisch von Moskau kontrollierten Gebiets, das von Russland anerkannt wird. Es kann aber auch sein, und das halte ich für wahrscheinlicher, dass sich die Krim Russland anschließt", sagte der Russlandexperte Gerhard Mangott von der Universität Innsbruck der "Wiener Zeitung".
Eine ganze Reihe an völkerrechtlichen Verträgen hat Moskau mit seinem Einmarsch auf die Krim jedenfalls bereits gebrochen - so etwa die UN-Charta, die Gewaltanwendung gegenüber souveränen Staaten verbietet. "Russland hat nur auf einem kleinen und vertraglich genau bezeichneten Gebiet in Sewastopol ein Recht auf militärische Präsenz", sagte der Rechtsexperte Georg Nolte von der Berliner Humboldt-Universität. Am Status der Krim hatte sich nach dem Ende der Sowjetunion ein russisch-ukrainischer Konflikt entzündet. Die russisch dominierte Halbinsel wurde erst 1954 der ukrainischen Sowjetrepublik zugeschlagen. Der Konflikt schien mit dem Budapester Memorandum von 1994 und dem Flottenabkommen von 1997 eingehegt, ehe Moskau im Zuge der jetzigen Auseinandersetzungen diese Verträge brach.
Nicht nur auf der Halbinsel Krim ist die Lage prekär, auch im Osten der Ukraine gärt es: Die russische Trikolore hatte bereits seit drei Tagen am Fahnenmast der Regionalverwaltung der ostukrainischen Stadt Donezk geweht, als am Montag nach einer Kundgebung mit tausenden Teilnehmern gut 300 Demonstranten das Gebäude stürmten. Sie schwenkten weiß-blau-rote Fahnen und riefen an die Adresse des russischen Präsidenten "Putin, komm!"
Auch in anderen Städten wie der südwestlichen Hafenstadt Odessa kam es zu prorussischen Kundgebungen. Die Regierung in Moskau könnte das gemäß ihrem Verteidigungsgesetz zum Anlass nehmen, um nach der Krim noch in weitere Gebiete der Ukraine einzumarschieren. Russland hatte im Jahr 2009 eine neue Doktrin verabschiedet, die Militäreinsätze im Ausland zum Schutz russischer Bürger rechtfertigt.
Gelenkte Proteste?
Fraglich ist freilich, wie repräsentativ diese Demonstrationen für die Stimmung im prinzipiell russophilen Süden und Osten des Landes sind. "Ich denke, dass Russland bei den Demonstrationen in der Ukraine mit Offizieren des Nachrichtendienstes eingreift", sagt Gerhard Mangott. "Sie dürften die Proteste organisieren, Leute dafür finden und die Demonstrationen auch lenken und leiten", vermutet der Politologe. "Die russische Absicht ist sicherlich, zur Destabilisierung im Osten und Süden des Landes beizutragen, die Legitimität der neuen ukrainischen Regierung auszuhöhlen und den Druck auf Kiew zu erhöhen, das Land zu föderalisieren", sagt der Politologe. An einen militärischen Einmarsch im Süden und Osten wie auf der Krim glaubt Mangott - jedenfalls noch - nicht.