Das Endergebnis der Präsidentschaftswahlen ist noch offen, aber in Kabul stehen schon erste Protestcamps.
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Kabul. "Na weil er gewonnen hat", hieß es lapidar auf die Frage, warum Abdullah Abdullah sich am Dienstag selbst zum Sieger der afghanischen Präsidentschaftswahlen ausrief, aus dessen Team. Nur wenige Stunden zuvor hatte die unabhängige Wahlkommission in Kabul in einem Zwischenergebnis aber erklärt, Aschraf Ghani, sein Rivale in der Stichwahl, liege mit 56,4 Prozent vorne. Das beeindruckte Abdullah offenbar wenig. "Wir respektieren das Votum des Volkes, wir haben gewonnen", sagte er vor tausenden jubelnden Anhängern. Gänzlich überzeugt von seinen Worten dürften Letztere aber nicht gewesen sein. Sie stellten noch am gleichen Tag Protestcamps in Kabul auf, um gegen die Wahlbehörde zu demonstrieren.
"Die Lage ist wohl am besten mit gespalten zu beschreiben", sagt Baqi, ein Bewohner von Kabul. Seit Wochen würden beide Seiten nur noch von "Taqalub" - Manipulation - sprechen, erzählt der 58-Jährige. "Und beide Parteien haben wohl recht. Die Lage ist ziemlich verfahren."
Schon kurz nach dem zweiten Wahlgang hatte Ex-Außenminister Abdullah seinem Rivalen Ghani Wahlfälschung vorgeworfen. Er scheint davon überzeugt, dass Präsident Hamid Karzai und die Wahlkommission ihn abermals um die Präsidentschaft bringen wollen - gleich wie bei dem ersten Antreten des gelernten Augenarztes im Jahr 2009. Auch für seine Anhänger ist es schwer zu glauben, dass er nach dem deutlichen Vorsprung in der ersten Wahlrunde nun hinter Ghani liegen soll.
Aus afghanischen Parlamentskreisen heißt es, Abdullah hätte seinen Vorsprung nicht zuletzt dadurch verspielt, dass drei Tage vor der Stichwahl der Ex-Chef des pakistanischen Geheimdiensts (ISI), Hamid Gul, Abdullah öffentlich den Vorzug gegeben hatte. Der "entscheidende Vorteil" Abdullahs gegenüber Ghani sei seine Vergangenheit als "Dschihadist", hatte Gul, der von Afghanen auch als "Vater der Taliban" bezeichnet wird, gesagt. Andere werteten diese Aussage aber nur als Ausfluss einjähriger Bemühungen Abdullahs im Vorfeld der Wahl, sich mit dem ISI, mit dem er immer über Kreuz gelegen war, eine Verhandlungsbasis zu schaffen.
Trotz der Beschuldigung des gegnerischen Lagers sagte Abdullah, er strebe keine Spaltung des Landes an. "Wir wollen die nationale Einheit und die Würde Afghanistans erhalten", sagte er - und fügte aber hinzu, dass sich "das Gesicht Afghanistans auf mein Signal hin verändern kann". Manche befürchten nun, dass Proteste von Abdullah-Anhängern in Gewalt umschlagen können. Nicht unbegründet: In der Nacht auf Dienstag schossen Abdullah-Anhänger in Kabul bereits willkürlich um sich. Zudem haben machtvolle Unterstützer Abdullahs - darunter der ehemalige Chef des afghanischen Geheimdienstes Amrullah Saleh und der Gouverneur von Balkh, Ustad Atta, - damit gedroht, eine "Parallelregierung" aufzustellen, sollten die afghanischen Wahlbehörden den Wahlprozess ohne ihre Zustimmung zu Ende führen.
USA droht mit Hilfen-Entzug
"Wird eine Parallelregierung aufgestellt, wird das in einem Bürgerkrieg und einer Spaltung enden", schreibt Davood Moradian, Politologe am Afghan Institute for Strategic Studies in Kabul in einem Kommentar. Nach der turbulenten Wiederwahl Karzais 2009 haben die massiven Betrugsvorwürfe die Autorität des Präsidenten stark unterminiert und dessen Position geschwächt. Ein Szenario, das die ohnehin fragile Stabilität im Land zu einer wichtigen Zeit - die internationalen Kampftruppen ziehen Ende des Jahres ab - bedrohen würde.
Die Entwicklung beunruhigt indes auch Amerika. US-Außenminister John Kerry warnte am Dienstag vor einer illegalen Machtübernahme. Er habe "Andeutungen über eine Parallelregierung" dort "mit größter Sorge zur Kenntnis genommen", so Kerry in einer Mitteilung. Jeder Versuch einer unrechtmäßigen Machtübernahme werde dazu führen, dass Afghanistan die finanzielle und militärische Unterstützung der USA und der internationalen Gemeinschaft verliere. Kerry selbst wird Freitag in Kabul erwartet, um zu schlichten. Aus US-Kreisen heißt es, er wolle Ghani dazu bringen, eine Koalitionsregierung mit Abdullah einzugehen, was dieser bisher ablehnt.
"Es gab Wahlbetrug auf beiden Seiten", sagt Nader Nadery von der Denkfabrik AREU in Kabul zur "Wiener Zeitung". In Anbetracht der Persönlichkeiten der beiden Kandidaten und ihres politischen Zugangs sieht der Politologe aber nur eine "limitierte Möglichkeit" für eine echte Koalitionsregierung. Eine Regierung, die von einem der beiden Kandidaten betrieben wird und einzelne Mitglieder des anderen Lagers an Bord holt, sehe er aber als durchaus möglich.
Wer schlussendlich federführend das Schicksal Afghanistans bestimmen wird, versucht nun eine Beschwerdekommission zu klären. Sämtliche Einwände sollen untersucht werden und das offizielle Resultat am 22. Juli bekanntgegeben werden.