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Spiel unserer Zeit

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Fußball ist das Spiel unserer Zeit mit den Mitteln unserer Zeit. Verwunderung ist nicht angebracht, höchstens ein wenig Wehmut.


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Wird es Lionel Messi gelingen, sich auf ewig in die Herzen seiner leidgeplagten Landsleute einzuschreiben, indem er Argentinien den dritten Weltmeistertitel verschafft? Oder schafft das französische Team, was bisher erst zwei Mannschaften gelang: die Titelverteidigung?

Welche Sehnsucht sich erfüllt, wird nach dem Finale am Sonntag feststehen. Weit weniger eindeutig lässt sich dagegen klären, welche Erinnerungen von dieser im Vorfeld so umstrittenen Weihnachts-Fußball-WM in Katar bleiben.

Von der "besten WM aller Zeiten" - der rituellen Dauerformel für Großveranstaltungen dieser Art - sprach der Turnier-Impresario, der unter Dauervorwürfen der Korruption stehende Fifa-Chef Gianni Infantino. Die konsequente und unter Strafandrohung durchgesetzte Verbannung politischer Botschaften seitens einiger europäischen Teams verteidigte er einmal mehr. Ziel sei es sicherzustellen, dass die Zuschauer für einen Moment alle ihre Sorgen vergessen und das Spiel genießen können.

Das ist für eine globale gewinnmaximierende Unterhaltungsbranche kein ganz falscher Zugang. Zumal so mancher Protest der Europäer sogar mit verbundenen Augen als fadenscheinige Inszenierung der eigenen moralischen Überlegenheitsansprüche entlarvt werden konnten; hinzu kommt der Verdacht, dass sich deren Botschaften primär an Sponsoren und Publikum zuhause richteten.

Der professionelle Fußball hat über Jahrzehnte hinweg konsequent auf ein Dasein als globale Gelddruckmaschine hingearbeitet. Seine Wurzeln als ein Sport mit ausgeprägtem Bewusstsein für die soziale und politische Verankerung seiner Akteure und Zuschauer hat er erfolgreich ver- beziehungsweise an den Rand gedrängt. Es ist diese Herkunft, die dem auf Emotionen bauenden Massensport immer wieder ein Momentum politischer Unberechenbarkeit zu verleihen imstande war. Das passt jedoch schon lange nicht mehr in eine Gegenwart, die immerzu nach Kontrolle strebt. Trotzdem lebt die Erinnerung in wenigen Nischen und einigen Club-Inszenierungen bis heute fort.

Katar war im Streben nach umfassender Kontrolle tatsächlich "die beste WM aller Zeiten". Nicht nur politische Botschaften wurden verbannt, sondern auch jeder Exzess von Emotionen, ja sogar umstrittene Entscheidungen auf dem Spielfeld wurden zuletzt von der allzeit neugierigen Spürnase der Kameras abgeschirmt.

Fußball ist das Spiel unserer Zeit mit den Mitteln unserer Zeit. Verwunderung darüber ist nicht angebracht, höchstens ein klein wenig Wehmut.