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Was haben das Seilbahnunglück in Kaprun, der Salzburger WEB-Skandal und die Hepatitis-Infektionen nach Plasmapherese-Spenden gemeinsam? Eine Vielzahl von Geschädigten, die einige Mühe haben oder hatten, vor Gericht zu ihrem Recht zu kommen. Experten fordern daher seit längerem, Sammelklagen ins österreichische Zivilprozessrecht einzubauen.
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"Die Instrumente, die die Zivilprozessordnung heute bietet, reichen für Massenschäden nicht aus", befindet Alexander Klauser im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der Rechtsanwalt kämpft für den Verein für Konsumenteninformation (VKI) gegen Banken, die ihren Kunden überhöhte Kreditzinsen verrechnet haben.
In den Verfahren setzte der VKI erstmals auf die Strategie, sich die Ansprüche der tausenden Geschädigten abtreten zu lassen. Die "Massenklage österreichischer Prägung" war geboren. Kläger ist nicht mehr der einzelne Geschädigte, sondern ein Verein. Vorteil: alle Ansprüche sind in einem einzigen Verfahren gebündelt. Möglich wurde diese Quasi-Massenklage "durch extensive Auslegung der Klagenhäufung - §227 ZPO", erklärt Klauser verschmitzt: "Darin wird festgehalten, dass eine Klage mehrere Ansprüche umfassen kann."
Juristischer Trick mit Zession
Doch auch dieser Griff in die juristische Trickkiste ist nicht der Weisheit letzter Schluss. "Wir können doch nicht von einem Geschädigten automatisch verlangen, dass er seinen Anspruch abtritt", meint der Anwalt. Auch sei nicht immer eine Vereinigung zur Hand, die bereit ist, die Ansprüche zu erwerben und damit vor Gericht zu ziehen.
Erfahrung mit Massenprozessen hat auch Rechtsanwalt Hans Otto Schmidt. Der Wiener Advokat vertritt Hepatitis-Kranke, die sich in den 70er-Jahren beim Blutplasmaspenden mit dem Virus infizierten. Bereits im Jahr 2001 konnte Schmidt für seine Klienten 7,4 Mio. Euro erstreiten - im Jahr 2004 rang er den beklagten Konzernen nochmals 1,5 Mio. Euro ab. Schmidt führte damals Musterprozess für einzelne Geschädigte. Die Prozesse der übrigen Kläger wurden während dieses Verfahrens unterbrochen. Als Schmidt in erster Instanz Recht bekam, stimmten die beklagten Unternehmen einem Vergleich zu. Auch für Schmidt ist die heutige ZPO für derartige Monsterprozesse "eigentlich nicht gerüstet". "Für den einzelnen Geschädigten bedeutet die Klage ein hohes finanzielles Risiko. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, sich eine für derartige Fälle zugeschnittene Lösung zu überlegen."
Sammelklage nach amerikanischem Vorbild**
Eine Lösung, sind sich beide Anwälte einig, könnte eine echte Sammelklage nach US-amerikanischem Vorbild ("class-action") sein. Bei einer derartigen Sammel- oder Gruppenklage - wie sie u.a. auch immer wieder bei den Raucher-Prozessen gegen die Tabakindustrie zum Einsatz gelangt - wird stellvertretend für alle Geschädigten ein einzelner Anspruch durchgefochten. Vorteil dabei: Ein Urteil in dieser einen Sache erlangt Rechtskraft auch für die anderen am Verfahren Beteiligten. Weiters sei es bei diesem Modell nicht zwingend notwendig, dass zu Prozessbeginn alle Geschädigten bekannt sind, erklärt Klauser.
Bedenken gegen eine Amerikanisierung des heimischen Rechtssystems seien dabei ebenso fehl am Platz wie Befürchtungen, die Sammelklage könnte eine Bedrohung für den Wirtschaftsstandort Österreich darstellen. Klauser: "So eine Sammelklage kann dem mitunter zahnlosen Schadenersatzrecht zum Durchbruch verhelfen. Für Unternehmen wird dieses Instrument aber nur gefährlich, wenn sie schuldhaft die Gesetze brechen. Umgekehrt bedeutet es mehr Sicherheit für all jene Firmen, die die Gesetze achten." Inwieweit Sammelklagen Teil des österreichischen Rechtsbestands werden sollen, war auch Thema der vom Sozial- und vom Justizministerium veranstalteten Wilhelminenberg-Gespräche am vergangenen Montag in Wien.
"Es ist höchste Zeit, dass die Spielregeln für Massenverfahren angesichts der Zunahme ihrer Bedeutung in einer Weise festgelegt werden, dass derartige Verfahren mit vertretbarem Zeit- und Kostenaufwand abgewickelt werden können und damit die Rechtsdurchsetzung in der Praxis auch realisierbar ist", meint Konsumentenschutzstaatssekretär Sigisbert Dolinschek. Ab Herbst soll in der Zivilrechtssektion des Justizministerium an einer gesetzlichen Lösung gearbeitet werden - bis Jahresende könnte dann ein erster Entwurf auf dem Tisch liegen.