Fernreisen bringen den Menschen an nahezu jeden Punkt des Globus. Das bleibt nicht symptomlos.
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Wien. In zwölf Stunden nonstop von Wien nach Los Angeles, in 21 Stunden von Wien nach Melbourne. Die technischen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte haben es zuwege gebracht, dass wir Tag und Nacht in kürzester Zeit scheinbar mühelos ans andere Ende der Welt jetten können. Wäre da nicht der Jetlag - jenes Phänomen, das uns nach solchen Ausflügen Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche, Verdauungsbeschwerden und Verstimmungen bescheren kann.
Denn ganz so mühelos geht eine Reise dann doch nicht vonstatten. Auf langen Flügen überschreiten wir mehrere Zeitzonen. Starten wir um 10 Uhr in Wien los, landen wir zur Mittagszeit an der amerikanischen Westküste. Die Mittagssonne, der glitzernde Ozean und die angenehme Wärme täuschen darüber hinweg, dass es für uns eigentlich schon 22 Uhr wäre. Also Zeit, um schlafen zu gehen. Mitnichten, der Urlaub hat doch eben erst begonnen. Wobei: Geht die Reise in den Westen, ist das für den Organismus noch recht leicht zu verkraften - die Nacht durchgemacht hat wohl jeder schon mal. Ein Flug in den Osten hingegen sorgt für einen verkürzten Tag und lässt so manchen Körper völlig aus dem Ruder laufen. "Grund dafür ist unsere innere Uhr, die aufgrund veränderter Lichtverhältnisse aus den Fugen gerät", erklärt Stefan Seidel, Neurologe und Schlafforscher an der Medizinischen Universität Wien, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Fünf-Zeitzonen-Grenze
Spürbar wird der Jetlag bei den meisten Menschen ab fünf Zeitzonen. Richtung Westen befindet sich dieser Punkt von Wien aus gesehen an der amerikanischen Ostküste. Im Osten wäre Sri Lanka ein Ziel, wo sich Symptome vermehrt zu zeigen beginnen.
Die am Heimatort eingespielte körpereigene Produktion des Schlafhormons Melatonin kommt mit veränderten Lichtverhältnissen gehörig ins Schwanken. Der Botenstoff wird in der Zirbeldrüse (Epiphyse) gebildet, die in einem Teil des Zwischenhirns sitzt und für den Schlaf-Wach-Rhythmus zuständig ist. Untertags finden sich nur Spuren von Melatonin im Körper, weil die Produktion durch das Tageslicht gehemmt wird, erläutert Seidel. Mit zunehmender Dunkelheit erreicht es seinen Höhepunkt, macht uns müde und lässt uns schließlich in wohligen Schlaf versinken.
Jetlag-Beschwerden sind somit keine Einbildung, sondern organisch nachvollziehbar. "Bei den meisten ist es nach ein paar Tagen wieder vorbei", beruhigt der Mediziner, doch es kann in schweren Fällen bis zu zwei Wochen dauern. Für gewöhnlich ist der Spuk aber innerhalb von drei bis sieben Tagen wieder vorbei.
Zur Linderung setzt der Experte vor allem auf Verhaltensmaßnahmen. So sei es sinnvoll, ein bis zwei Tage vor der Reise jeweils später (in den Westen) beziehungsweise früher (in den Osten) als gewohnt zu Bett zu gehen. Dies sorgt für ein adäquates Training unseres zirkardianen Rhythmus. Empfohlen werden auch ein gesunder Lebensstil und die Hauptmahlzeit an die Ortszeit anzupassen. Ein Hunger zwischendurch sollte lediglich mit einem kleinen gesunden Snack gestillt werden. Zu alldem wird moderate körperliche Aktivität angeraten - etwa laufen, schnell gehen oder schwimmen. Geht die Reise ostwärts, sollte in den ersten Tagen in der Zeit nach dem Aufstehen das helle Tageslicht durch eine Sonnenbrille gemindert werden.
Vielkönner Melatonin
Auch Melatonin in synthetisierter Form sei ein adäquates Mittel, um dem Körper bei der Umstellung zu helfen, erklärt Seidel. Dieses sollte ein bis eineinhalb Stunden vor dem Schlafengehen eingenommen werden. Die Dosis spiele dabei eine untergeordnete Rolle. Schon mit einem halben Milligramm trete die Wirkung ein. Für hartnäckigere Jetlag-Beschwerden steht am Ende aller Weisheit immer noch das Einschlafmittel zur Verfügung, wobei hier auf kurz wirksame Substanzen zurückgegriffen wird. Gut vorbereitet lässt es sich also problemlos reisen - und auch wieder heimkommen.