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Spion als Stolperstein des Friedenskanzlers

Von Anselm Bengeser, AP

Politik

Als Kanzleramtschef Horst Grabert den deutschen Bundespräsidenten Gustav Heinemann am späten Abend des 6. Mai 1974 in Hamburg das Rücktrittsschreiben Willy Brandts übergab, brach für die deutschen Sozialdemokraten eine Welt zusammen. Der Kanzler der Ostpolitik, Friedensnobelpreisträger, strahlender Wahlsieger von 1972 und Hoffnungsträger der Partei hatte - nach langen Tagen des Grübelns - resigniert aufgegeben, in die Knie gezwungen nicht nur von einem perfiden Spion, sondern auch von den eigenen Zweifeln.


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Spontan bildete sich in der Nacht auf 7. Mai vor 30 Jahren ein Fackelzug seiner Anhänger hinauf zum Bonner Venusberg, wo Brandt wohnte. Viele weinten, so sehr hatte der charismatische Politiker die Menschen in seinen Bann geschlagen. Doch der scheidende Kanzler ließ sich weder blicken, noch umstimmen. Wie "erschöpft und mürbe" er zu jener Zeit war, schloss der Historiker Arnulf Baring auch aus einem an Heinemann gerichteten Begleitbrief zum Rücktrittsgesuch, in dem es heißt: "Ich bleibe in der Politik, aber die jetzige Last muss ich loswerden." Und die Last bestand nicht nur aus den "Fahrlässigkeiten im Zusammenhang mit der Agentenaffäre Guillaume", mit denen Brandt seinen Schritt begründete. Der DDR-Spion war bald nach Kriegsende in den Westen eingeschleust worden. In der Folge diente sich Guillaume in der SPD vom einfachen Genossen in die höchste politische Referentenebene hoch. Schließlich landete er auf Empfehlung hessischer Spitzengenossen im Kanzleramt - ein kommunistisches U-Boot im Machtzentrum des NATO-Mitglieds BRD. In seiner Funktion als Persönlicher Referent Brandts war er vor allem auf Reisen - ob Wahlkampf oder Urlaub - einer der engsten Begleiter des Kanzlers mit Zugriff auf geheime Papiere.

Brandt hätte die Affäre laut Baring trotz ihrer Brisanz schnell und verhältnismäßig unbeschadet bereinigen können. Er hätte nur die für die Agentenabwehr und deren Fehler Verantwortlichen entlassen müssen. Doch zu denen gehörte auch Hans-Dietrich Genscher, damals Innenminister, designierter FDP-Vorsitzender und eine tragende Säule des sozial-liberalen Bündnisses. Undenkbar, den zu feuern: Die Koalition von SPD und FDP wäre wohl zerbrochen.

So nahm das Schicksal seinen Lauf. Weil Günter Guillaume nach seiner Verhaftung zunächst jede Aussage verweigerte, wurden die Ermittler tätiger als es Brandt lieb sein konnte: Sie vernahmen unter anderen eingehend auch die Bodyguards, die den Kanzler überall hin begleiteten. Und schon waren die Gerüchte in der Welt, Brandt sei jungen Journalistinnen auf Reisen häufig näher gekommen als die Moral es erlaubt.

Die Gerüchte verbreiteten sich, zunächst nur in Andeutungen im Blätterwald, kamen aber - mit Einzelheiten und Namensnennungen - ungefiltert und transportiert von Verfassungsschutzchef Günther Nollau auch den Kabinettsmitgliedern und Koalitionsspitzen zur Kenntnis. Insbesondere der mächtige SPD-Fraktionschef Herbert Wehner, den eine tiefe Aversion gegen Brandt und alle lockeren Sitten auszeichnete, soll den Stein ins Rollen gebracht haben. Ohne sich öffentlich zu äußern, förderte er angeblich insgeheim den Sturz des Kanzlers.

Historiker fanden dafür keine objektiven Belege, nur die - natürlich subjektiv gefärbten - Tagebuch-Notizen Brandts lassen auf eine Brutus-Rolle Wehners schließen. Aber auch Graberts Vorgänger als Kanzleramtschef, Horst Ehmke, sagte zu Brandt: "Du wirst da niemals heil durchkommen."

Den Erinnerungen der Hauptbeteiligten, vor allem den Notizen Brandts selbst, ist zu entnehmen, dass die Affäre Guillaume, die damit geschwundene Unbefangenheit des Kanzlers im Verhältnis zum Ostblock, die Frauengeschichten und die katastrophale Presse zwar entscheidend, aber nur zum Teil für den Rücktritt verantwortlich waren. Der Held der Ostpolitik hatte seit seiner Wiederwahl 1972 innenpolitisch keine glückliche Hand, die ÖTV quälte ihn mit abstrusen Lohnforderungen, der erste Ölpreisschock belastete die Republik und die Arbeitslosenzahl war mit einer Million in - damals - skandalöse Höhen geklettert.

Brandt selbst unterstellte in jenen Tagen der Entscheidung Parteifreunden die Vermutung, "es seien die seit Anfang des Vorjahres sich häufenden Widrigkeiten, die mich mürbe gemacht haben", und fügte dem Tagebucheintrag hinzu: "Ich will das nicht völlig ausschließen. Wer kann sich insoweit in vollem Umfang Rechenschaft geben? Jedenfalls kann ich, neben Fehlern, Konditionsschwächen nicht bestreiten."