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Reporter der WDR besuchten Haiti ein Jahr nach dem großen Erdbeben. Und erlebten dort eine ebenso skurrile wie aussichtslose Spirale aus Not, Gewalt und Gegengewalt. So leben mittlerweile rund eine Million Menschen dort in etwa 1000 Elends-Lagern. Doch längst nicht alle sind Erdbebenopfer.
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Etwa ein Drittel, so schätzen die Behörden, sind eigentlich normale Slum-Bewohner, die von daheim in die Zeltstädte übersiedelt sind, um an Hilfsgelder und -lieferungen zu gelangen. Regiert werden diese Lager von skrupellosen Banden, deren Mitglieder eigentlich im Gefängnis sitzen sollten, aber beim Erdbeben alle ausbrechen konnten. Eigene Fahnder-Trupps aus früheren Gefängniswärtern sollen sie wieder einfangen, was ohne Melderegister und Fingerabdrücke schwer ist. Abends gehen die Fahnder heim - hinter Gefängnismauern, wo sie zwischen eingestürzten, leeren Zellentrakten in Zelten hausen. Das ist nicht schön, aber immer noch besser, als draußen von den Ex-Sträflingen, die Rache geschworen haben, erwischt zu werden.
Mit diesen bekam man im Laufe der Sendung fast Mitleid: Erlaubt doch das haitianische Recht eine Inhaftierung Verdächtiger, so lange das Verfahren läuft. Die schlampigen, korrupten und langsamen Gerichte brauchen aber bis zu sechs Jahren, bis eine Verhandlung stattfindet. So lange sitzen Betroffene in überfüllten U-Haft-Zellen. Jene Haitianer, die nicht "sitzen", hoffen auf fremde Investoren, die die Wirtschaft ankurbeln. Doch die erwähnten Ausbrecher-Banden sind vor allem auf Entführungen solcher Leute spezialisiert, um schnell an Lösegeld zu kommen, was immer mehr Wohlhabende aus dem Lande treibt. Die Einzigen, die bleiben, sind 12.000 UNO-Soldaten, die an den Zuständen aber wenig ändern können.