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Deutsche Grüne wollen auf Parteitag "Alltagstauglichkeit" beweisen. | Giegold: Haben Konzept gegen Krise. | Auf "regierungsfähige Konzepte" wollen sich die deutschen Grünen am Wochenende auf ihrem Parteitag im süddeutschen Freiburg einigen. Sie wollen beweisen, dass sie "alltagstauglich" seien, sagte Parteichefin Claudia Roth. In Baden-Württemberg und in Berlin könnten die Grünen 2011 die Regierungschefs stellen. Ein großes Thema in Freiburg wird die Bürgerversicherung sein, ein Gegenkonzept zur Gesundheitspolitik der Regierung.
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"Wiener Zeitung": Bis zu 25 Prozent wurde den Grünen in Umfragen zuletzt vorausgesagt. Wie erklären Sie sich diesen Höhenflug? Sven Giegold: Ich glaube, dass wir als Einzige ein überzeugendes Konzept gegen die Krise vorgelegt haben: den Grünen New Deal.
Es ist also kein Protest gegen die Regierung?
Natürlich steht die Regierung derzeit sehr schlecht da. Und einige Liberale, die eher bürgerrechtlich orientiert sind, sind zu uns gekommen. Aber ohne eigene Konzepte nützt es nichts, wenn sich die FDP entzaubert. Wir wollen eine Million Arbeitsplätze schaffen durch Investitionen im Ausbau erneuerbarer Energien, in Wärmedämmung, durch mehr Ressourceneffizienz und ökologische Mobilität.
Wie ist das zu finanzieren?
Günstiges Kapital ist im Überfluss vorhanden. Wir müssen es durch die richtigen Regeln in nachhaltige Investitionen lenken. Außerdem müssen wir die Kapitaleinkommen besteuern. Das Bankgeheimnis anderer Länder wie Österreich und der Schweiz ist dabei ein Erschwernis. Außerdem muss der Spitzensteuersatz wieder rauf.
Der wurde ja unter Rot-Grün gesenkt. Die Linke dagegen fordert einen Spitzensteuersatz von 50 Prozent.
Wir sind für 45 Prozent anstelle von 42, das ist aber nicht der zentrale Punkt. Man muss über die Ausnahmen reden. Oft wird der Spitzensteuersatz gar nicht fällig, zum Beispiel auf Kapitaleinkünfte. Besser also 45 Prozent, die dann auch durchgesetzt werden, als ein Symbol von 50 Prozent.
Kanzlerin Angela Merkel hat vor wenigen Tagen auf dem CDU-Parteitag lautstark vor den Grünen gewarnt.
Das ist nicht Merkels politische Haltung. Es ist strategisches Kalkül. Wenn man im Inneren Probleme hat, sucht man sich den Feind außen. So glaubt Merkel, die Funktionäre mobilisieren zu können - die enttäuschten Bürger kann sie durch Beschimpfung nicht zurückgewinnen.
Wie geht es nun aber mit den Grünen weiter, werden die Grabenkämpfe wieder stärker? Die Spitzenkandidatin für Berlin, Renate Künast, tritt etwa für die Rente mit 67 ein. Das gefällt dem linken Flügel nicht.
Es gibt die Gefahr, das eigene Programm abzuschleifen. Dann aber sinkt die Glaubwürdigkeit. Auf dem Parteitag möchten wir auch unser Profil in der Sozialpolitik schärfen. Wir dürfen nicht den Fehler der Sozialdemokraten begehen und es allen recht machen wollen.
Was bedeutet das?
In Freiburg werden wir auch über die Gesundheitspolitik debattieren. Knackpunkt ist die Bemessungsgrenze unserer Bürgerversicherung: Wie stark soll man hohe Einkommen einbeziehen? Zwanzig Prozent der Bevölkerung sind zurzeit privat versichert. Sie sollen - wie alle anderen dann auch - in die Bürgerversicherung aufgenommen werden. Alle Einkommensarten sollen in Zukunft die Krankenversicherung finanzierten. Das Zweiklassensystem wäre damit beendet. Die SPD hat hier bei der Bürgerversicherung sehr ähnliche Vorstellungen.
Ist Schwarz-Grün "Hirngespinst", wie Merkel erklärte?
Auf kommunaler Ebene und im Stadtstaat Hamburg funktioniert Schwarz-Grün gut. Dort sind die Sozialdemokraten oft genauso strukturkonservativ wie die Schwarzen. Auf Bundesebene kommt Schwarz-Grün bis auf weiteres nicht in Frage. Der konservative Pro-Atomkraft-Kurs wie auch die Art in der Verteilungspolitik passt nicht zu uns Grünen.
Sven Giegold (41) ist Mitbegründer der globalisierungskritischen Organisation Attac in Deutschland. Seit 2009 ist er Vertreter der Grünen im EU-Parlament.