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Spitzkehre in der Schussfahrt: Kurt Becks dramatisches Ende

Von Markus Kauffmann

Europaarchiv

Mitten in ihrer schwersten Krise glitt der SPD-Führung die Inszenierung aus der Hand. Völlig überraschend warf ihr Bundesvorsitzender, der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck, das Handtuch. Er habe keine Kraft mehr, die Partei zu führen, sprach´s und entschwand. So sickerte es aus einer turbulenten Klausurtagung der SPD-Granden am idyllischen Schwielowsee nahe Potsdam nach außen durch.


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SPD-Sturzflug

Der plötzliche Rücktritt Becks wirkte auf die Tagungsteilnehmer wie eine Spitzkehre mitten in der Schussfahrt. In den zwei Jahren seiner Regentschaft hatten nicht nur seine persönlichen Sympathiewerte drastisch abgenommen, sondern vor allem die seiner Partei. Bei Prozentsätzen um die 20 konnte man kaum noch von einer "großen Volkspartei" sprechen. Zwar weinte ihm nur das offizielle Kommuniqué ein Tränlein nach, doch wäre man lieber in der Sitzung selbst von der dramatischen Entwicklung informiert worden als von den draußen herumlungernden Journalisten.

Dass Frank-Walter Steinmeier zum Kanzlerkandidaten der SPD gekürt werden sollte, pfiffen in den letzten Tagen schon die Spatzen von den Dächern. Die SPD hat eben zurzeit keinen beliebteren Politiker. Beck hätte diese Entscheidung gern so lange wie möglich aufgeschoben, vermutlich in der Hoffnung, das Blatt könnte sich im Lauf der Zeit zu seinen Gunsten wenden. Doch was er auch anfasste, verwandelte sich in schwere Steine, die ihm sonntags wohl auch vom Herzen gefallen sind. Selten war die traditionsreiche Sozialdemokratie so gespalten wie unter seiner Ägide. Sein Rücktritt war also der beste Dienst, den er der schwer angeschlagenen SPD erweisen konnte.

Dass sein Zeitplan scheiterte, lag sowohl an Franz Müntefering, der fünf Wochen nach dem Tod seiner Frau soeben wieder auf die politische Bühne zurückgekehrt war, als auch an Steinmeier selbst. Der amtierende Außenminister soll Beck zur Entscheidung gedrängt haben, wohl wissend, dass die bis zur nächsten Bundestagswahl verbleibenden 385 Tage extrem kurz sind für eine Aufholjagd zur Union. Hinzu kam, dass Münteferings Auftritt im Bayernwahlkampf vor einer Woche ein nostalgisches Rumoren in den Parteistrukturen auslöste, gilt doch der ehemalige Gefolgsmann Schröders als der Einzige, der die zerstrittenen Flügel der Partei wieder vereinen und sie zum Siegeswillen motivieren könnte.

Ein in aller Eile einberufener Sonderparteitag soll Steinmeier von der Last des kommissarischen Parteivorsitzes befreien, die er mit dem Rückzug Becks auf sich nehmen musste, und Müntefering zu seinem eigenen Nach-Nachfolger küren. Er wäre dann der 13. SPD-Vorsitzende seit dem letzten Krieg, aber der fünfte allein in den letzten fünf Jahren - der Verschleiß spricht Bände.

Was folgt aus der dramatischen Wende dieses Wochenendes? Die überstürzte Eile spricht dafür, dass man einer langen, qualvollen Debatte ausweichen wollte, die nur die innere Zerrissenheit der Partei noch deutlicher hervortreten hätte lassen. Auch hätte eine längere Diskussionsphase eher den linken Flügel gestärkt, der mit der Kür des Duos Steinmeier-Müntefering in seine Schranken verwiesen wurde. Beide gelten als Architekten der Schröderschen "Agenda 2010"-Reformen, die bei den Linken als neoliberal verschrieen sind und die sie so rasch wie möglich aushebeln wollen.

Kenner der Parteiseele

Steinmeier braucht Müntefering mehr als umgekehrt. "Münte" kennt die Parteiseele, Steinmeier hingegen wird jetzt schon als "Kanzlerbürokrat" punziert, kennt er doch die Innenpolitik fast nur aus der Perspektive von Amtsstuben. Für ihn sprechen seine außenpolitische Erfahrung, eine für das Amt des deutschen Bundeskanzlers nicht unbedeutende Qualifikation. Seine große Beliebtheit könnte aber rasch aufgebraucht sein, wenn er sich erstmalig in die Niederungen innenpolitischer Querelen begeben oder gar ans Wahlkämpfen machen muss. Allerdings kann Müntefering ihm den Rücken freihalten, weil er kein Regierungsamt bekleidet und jederzeit aus der Koalitions-Disziplin ausscheren könnte. Gleichwohl ist er schlau genug, jetzt nicht auf die Blockade-Bremse zu steigen, weil das nur der Konkurrenz nützen könnte. Die Rolle der Fundamental-Opposition ist der Linkspartei des ehemaligen SPD-Vorsitzenden weit mehr auf den Leib geschrieben.

Wenn nicht noch eine Revolte der Parteilinken ausbrechen sollte, ginge also die deutsche Sozialdemokratie mit einer beachtlich starken Doppelspitze in die letzte Runde vor der Wahl 2009. Damit ist das Rennen noch nicht gewonnen - beide müssen erst beweisen, ob sie mit dem Ameisenhaufen besser zurecht kommen als Beck.

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