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SPÖ braucht Politik mit Hausverstand

Von Stefan Melichar und Brigitte Pechar

Politik
"Nicht sehr lang" werde es ab 2014 eine Übergangsregelung bei den Hackler-Pensionen geben, so Hundstorfer. Foto: Newald

3000 "Hackler" von Arbeitgebern in die Frührente gedrängt. | "Müssen auch über die Besteuerung von Spekulation reden." | Minister will heuer weniger Saisonniers bewilligen. | "Wiener Zeitung": Herr Minister, Sie haben angekündigt, eine Verteilungsdebatte führen zu wollen. Nun hat Vizekanzler Josef Pröll diesem Wunsch entsprochen und ein Transferkonto vorgeschlagen.


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Rudolf Hundstorfer: Ein Transferkonto, wo es nur darum geht, festzustellen, welche Sozialleistungen die Menschen erhalten - davon halte ich gar nichts. Das ist alles bekannt. Die Frage ist, was will man damit erreichen? Wenn man meint, dass irgendwo überproportional verteilt wird, soll man das sagen. Wenn man meint, man muss etwas besteuern, soll man das auch sagen. Und wenn man meint, dass etwas nicht sozial treffsicher ist, dann auf den Tisch damit. Aber wenn wir über Sozialhilfe reden, müssen wir auch über Spekulationen und deren Besteuerung reden.

Steckt hinter dieser Diskussion die Sorge über die Mindestsicherung und die Furcht, dass diese als soziale Hängematte betrachtet werden könnte?

Ich möchte nicht bestreiten, dass die Mindestsicherung noch sehr aufklärungsbedürftig ist. Aber dafür brauchen wir kein Konto, das kann ich Ihnen aus dem Stegreif auflisten: Wir haben 16.500 Menschen, die derzeit von der Sozialhilfe leben, und nur von der Soziahilfe, und wir haben weitere 150.000, die temporär - durchschnittlich sieben Monate - Leistungen beziehen. Darin sind aber auch all jene enthalten, die nur 50 oder 100 Euro pro Monat erhalten.

Das sind bundesweit alle Sozialhilfebezieher?

Ja. Die Länder zahlen derzeit 450 Millionen Euro Sozialhilfe aus, wobei ein erklecklicher Anteil davon für Pflegeheim-Zuschüsse aufgeht. Ich kann das so genau sagen, weil wir im Zuge der Mindestsicherungsdebatte von allen Ländern die Zahlen eingeholt haben.

Kommt die Mindestsicherung jetzt zwölf Mal oder 14 Mal und vor allem in welcher Höhe?

Sie kommt zwölf Mal, über den Betrag gibt es noch eine gewisse Diskussion, wobei in den 733 Euro schon 25 Prozent (183 Euro) Wohnbeihilfe stecken, der Rest ist Sozialhilfe. Wir haben Länder, die zwölf Mal zahlen und andere, die den Heizkostenzuschuss als 13., den Bekleidungszuschuss als 14. zahlen.

Der Termin Mitte 2010 bleibt?

Start ist September.

Ihr nächstes großes Thema wird die Pensionserhöhung sein. Schließen Sie aus, dass es eine Personengruppe gibt, die weniger als 1,5 Prozent erhalten wird?

Ich gehe mit 1,5 Prozent für alle in die Verhandlungen, mit Ausnahme für jene, die auch heute schon gedeckelt sind. Der Deckel wirkt bis 2010, dann muss man neu verhandeln.

Dass die unteren Pensionen um 1,9 Prozent, die oberen dafür nur um ein Prozent angehoben werden, wäre eine Variante?

Ich kann dazu nicht mehr sagen. Die Gespräche werden schwierig genug, ich orientiere mich an der Gesetzeslage.

Bleiben wir bei den Pensionen. Die Hackler-Regelung kostet mehr als geplant. Finanzminister Pröll will daher die Reißleine ziehen und ein vorzeitiges Aus.

Im Nationalratsbeschluss von 2008 ist man von einem Mehraufwand von 1,2 Milliarden ohne Beamte ausgegangen. Für diese wurden 300 Millionen Euro zusätzlich budgetiert. Jetzt sind wir bei 2 Milliarden bis 2013. Das bedeutet, der tatsächliche Mehraufwand sind 500 Millionen Euro in dieser Periode. Wir müssen dennoch so etwas wie Sicherheit für die Menschen garantieren. Ich gebe zu bedenken, dass viele Firmen ihre Sozialpläne auf diese Regelung hin gestalten.

Gibt es Zahlen darüber, wie viele Menschen über die Hackler-Pension aus den Firmen gedrängt werden?

Es gibt rund 3000 Fälle mehr, weil es attraktiver wurde und viele Firmen für ihre Mitarbeiter Versicherungszeiten nachkaufen. Gedacht war, dass pro Jahr insgesamt 20.000 Menschen die Hackler-Pension in Anspruch nehmen, jetzt sind wir bei 24.000 bis 28.000. Es sind 1500 mehr bei den Bauern und 500 mehr in der gewerblichen Wirtschaft. 2000 Fälle kommen bei den Arbeitern dazu, weil der Krankengeldbezug angerechnet wird.

Die Frage ist, ob diese Langzeitversichertenregelung treffsicher ist. Menschen, die in Schwerarbeitspension gehen, zahlen einen Abschlag, Beamte in Hackler-Pension zahlen keinen Abschlag. Ist das fair?

Das trifft nur auf einen Teil der Beamten zu. Akademiker bekommen für die Hackler-Pension die Zeiten nicht zusammen. Sie müssten Zeiten nachkaufen: Insgesamt gibt es etwa 500 Fälle durch den Nachkauf von Studienzeiten.

Wird am Ende des Jahres eine Vereinheitlichung von Hackler- und Schwerarbeits-pension stehen? Und wie geht es mit der Invaliditätspension weiter?

Die Invaliditätspension ist ja nicht sehr hoch, bei Frauen beträgt sie durchschnittlich 600 Euro brutto. Aber wir wollen vor allem bei der Rehabilitation ansetzen. Damit muss früher begonnen werden, um die Menschen länger gesund und im Arbeitsprozess zu halten. Bei der Schwerarbeit wollen wir Verbesserungen vornehmen, sodass die wirklichen Hackler über die Schwerarbeitsregelung in Pension gehen können, die Hackler-Regelung wird auslaufen.

In die Schwerarbeitsregelung werden sich möglicherweise wieder Berufsgruppen hineinreklamieren, für die sie nicht gedacht ist.

Diese Diskussion müssen wir erneut führen.

Und das geht sich bis Dezember aus?

Bei der Schwerarbeit muss man nur einen Vorschlag präsentieren, der Beschluss ist erst für kommendes Jahr geplant. Die Schwerarbeitsregelung wird verbreitert, die Hackler-Pension wird auslaufen.

Wann? Für mich gilt das Regierungsprogramm, das eine Neufassung ab 1.1. 2014 vorsieht.

Dann kommt das Aus?

Es wird eine Übergangsregelung geben.

Aber nicht sehr lang?

Nicht sehr lang.

Sie haben kürzlich gemeint, wir hätten kein Pensionsproblem, wenn alle eineinhalb Jahre länger arbeiten würden. Wie kann man das tatsächliche Pensionsantrittsalter erhöhen?

Da müssen alle ihren Beitrag leisten, und wenn nun wieder eine Form der Frühpension abgeschafft wird, gibt es einen weiteren Hebel. Aber wir brauchen eine altersgerechte Arbeitswelt, und da ist die Wirtschaft gefordert. Es muss gelingen, mit Kombilohnmodellen, mit Gleitpension, mit Gesundheitsvorsorge die Menschen länger im Job zu halten.

Am anderen Ende der Altersskala stehen die Jugendlichen. In den zuständigen Gremien wird momentan wegen der Wirtschaftskrise über Veränderungen bei der Lehrlingsförderung debattiert. Wird es zu solchen kommen?

Es gibt dazu keine Überlegungen. Wir haben derzeit in der Industrie einfach um 60.000 Arbeitsplätze weniger, daher auch weniger Ausbildungsplätze. Wir haben auch weniger Jugendliche, die Lehrling sein wollen, und wir haben in den überbetrieblichen Lehrwerkstätten 6000 freie Plätze. Wenn man alles aufrechnet - die Zahl der offenen Lehrstellen, die Zahl der Suchenden - gibt es 3000 offene Lehrstellen.

Am Ende des Vorjahres hat Ex-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein mehr als 8000 Saisonniers für die Wintersaison genehmigt. Wieviele werden es denn heuer sein?

Da darf ich Sie um Verständnis bitten. Ich bin gerade in Verhandlungen über das neue Kontingent. Es werden sicher weniger sein als im Vorjahr, das habe ich allen Beteiligten gesagt. Eine genaue Zahl kann ich nicht sagen.

Die Kontingentierung soll den Zugang einheimischer Arbeitnehmer in die Tourismusbranche sicherstellen. Allerdings sind das ungeliebte Jobs.

Es muss natürlich klar sein - und das wird mittlerweile auch von der Wirtschaftskammer so gesehen -, dass Kollektivverträge eingehalten werden müssen, dass Überstunden gezahlt werden. In der Hotellerie funktioniert das immer besser.

Und ist daran gedacht, umgekehrt auf Arbeitslose Druck zu machen, offene Stellen anzunehmen - etwa durch gelockerte Zumutbarkeitsbestimmungen?

Das Arbeitsmarktservice hat ein Job-Coaching-Programm für den Wintertourismus entwickelt. Die 100-Kilometer-Grenze bei den Zumutbarkeitsbestimmungen will ich nicht angreifen. Fakt ist, wir müssen mobiler werden.

Kommen wir zur Verwaltungsreform. Sie haben als ehemaliger Vorsitzender der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten Erfahrung mit solchen Themen. Wie lange könnte es denn dauern, bis es ein gemeinsames Dienstrecht für alle Bediensteten der Gebietskörperschaften gibt?

Wir stehen erst am Anfang. Es ist sinnvoll, zuerst einmal eine Aufgabenplan zu entwickeln und festzulegen, wer was macht. Erst dann kann man festlegen, nach welchem Dienstrecht oder welcher Skala wer wie entlohnt wird.

Was wäre in diesem Zusammenhang ein realistischer Zeithorizont?

Es muss kein Konklave sein, aber es macht schon Sinn, sich intensiver zusammenzusetzen. Das beschleunigt den Ablauf.

Die FPÖ hat zuletzt wieder stark im Stimmenreservoir der SPÖ gefischt. Wie kann das gestoppt werden?

Indem man sich bemüht, einerseits die Dinge klarer zu sagen und andererseits ein bisschen mehr Politik mit Hausverstand zu machen. Es geht darum, aus Fehlern zu lernen - etwa, dass man bei der Migration zu lange weggeschaut hat. Wir haben die Rechte und Pflichten zu wenig angesprochen. Wir müssen mehr Aufmerksamkeit darauf legen, dass die Spielregeln unserer Gesellschaft eingehalten werden, dass die Deutschkenntnisse verbessert werden, und dass Vorurteile gegenüber Migranten vor allem auch auf dem Arbeitsmarkt abgebaut werden. Darüber hinaus müssen wir aber auch die Migranten zur Verantwortung ziehen. Mir gefällt zum Beispiel gar nicht, wenn einheimische Kinder sich nicht mehr auf den Spielplatz trauen - da haben wir zu lange weggeschaut. Da geht es nicht um einen Rechtsruck, sondern darum klarzumachen, dass gesellschaftliche Spielregeln von allen eingehalten werden müssen. Eine Hausordnung ist nicht nach Nationalitäten zu trennen.

"Es muss gelingen, die Menschen länger im Arbeitsprozess zu halten."

"Eine Hausordnung ist nicht nach Nationalitäten zu trennen."