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Der Kompromiss im Bildungsbereich - eine Analyse. | Wien. Misst man sie an ihrem Wahlprogramm, so konnte sich die SPÖ im Sektor Bildung bei den Regierungsverhandlungen so gut wie gar nicht durchsetzen, sondern allenfalls mit Mühe ihr Gesicht wahren. Im Schulbereich sind noch keine Details bekannt, zumindest aber fest, dass keine Gesamtschule kommt und die von der ÖVP stets gewollte Wahlfreiheit bestehen bleibt. "Es muss ein differenziertes System sein", hat der scheidende Kanzler Wolfgang Schüssel bis zuletzt mit Erfolg betont.
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Und im universitären Bereich erfolgt statt der vom designierten Bundeskanzler Alfred Gusenbauer stets geforderten Abschaffung der Studiengebühren eine in den Augen vieler lediglich kosmetische Reform. Denn die Beiträge bleiben bestehen, allerdings kann man sich durch Sozialdienste von 60 Stunden pro Semester von ihnen befreien.
Außerdem, doch das war sowieso fällig und zu erwarten, sollen für sozial schwächere Studierende die Möglichkeiten, das Studium durch Stipendien oder Kredite zu finanzieren, verbessert und ausgeweitet werden.
"All diejenigen Studenten, die keine Studiengebühr zahlen wollen, brauchen keine Studiengebühr zahlen, wenn sie bereit sind, ihrerseits einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten", so sieht für Gusenbauer die neue umstrittene Regelung aus.
Gebühr "abgeschafft"?
Wenn Wiens sozialdemokratischer Bürgermeister Michael Häupl nun erklärt: "Ich sehe die Studiengebühren als abgeschafft - wenn auch mit einer gesellschaftlichen Gegenleistung verbunden", fragt sich, ob viele, insbesondere auch in den Reihen der SPÖ und der rot-grün dominierten Österreichischen Hochschülerschaft, dieser gewagten Aussage zustimmen werden. Denn natürlich sind nicht nur Eurobeträge Geld, sondern auch zur Verfügung gestellte Zeit und Leistungen bedeuten Geld.
Geht man davon aus, dass sich jene Studierenden, die pro Semester 60 Stunden Sozialdienste leisten, damit 363 Euro Studiengebühren ersparen, so dürften sich nicht wenige ausrechnen, dass sie diese Summe in anderen Jobs mit weniger Zeitaufwand verdienen können. Lässt sich das wirklich unter "Studiengebühren abgeschafft" verkaufen?
Und ob jene Studenten, denen für ihren gemeinnützigen Einsatz die Studiengebühren erlassen werden, nach 60 dafür geopferten Stunden pro Semester der Slogan "Studiengebühren abgeschafft" glaubwürdig erscheint? Dazu kommt, dass die Idee mit dem gemeinnützigen Einsatz noch sehr unausgegoren wirkt. Welche Arbeiten sollen hier anerkannt werden? Wird es über bisher vage genannte Möglichkeiten - Nachhilfe für sozial bedürftige Schüler und Einsätze in der Hospizbewegung - weitere Einsatzbereiche geben?
Sozialpolitisch mag es seinen Reiz haben, junge Menschen zu derartigen Diensten zu animieren, aber qualifizierte Arbeit - wie beim Zivildienst, für den man dank längerer Dauer entsprechend geschult werden kann - ist kaum denkbar. Außerdem müsste, wenn das System gerecht sein soll, auch die Ableistung jeder geleisteten Stunde kontrollierbar sein - wie soll das ohne Bürokratie möglich sein?
Was Alfred Gusenbauer einen "vielleicht für viele undogmatischen Weg" nannte, löste - was kaum zu vermeiden war - sofort heftigste Reaktionen aus.
Für Christoph Badelt, den Vorsitzenden der Österreichischen Rektorenkonferenz, bedeutet der Kompromiss "nicht wahnsinnig viele Änderungen für die Unis". Kaum einer wird ihm nicht zustimmen, wenn er die Ausweitung der Stipendien als positiv ansieht, aber auch, wenn er das Gebührenthema "nicht für das wichtigste Thema der Uni-Politik" hält.
Vorwürfe von links
Dass das Versprechen, die Studiengebühren abzuschaffen, in einer Zeit, wo auch Deutschland - wie fast alle Länder Europas - Gebühren eingeführt hat, äußerst gewagt war, muss die SPÖ gewusst haben. Jetzt wird sie mit dem Vorwurf, ein zentrales Wahlkampfversprechen gebrochen und vor der ÖVP kapituliert zu haben, leben müssen. Dieser Vorwurf kommt derzeit nicht nur von anderen Parteien wie den Grünen oder der KPÖ, sondern besonders von der eigenen Parteijugend und Organisationen, in denen junge Linke das Sagen haben - Österreichische Hochschülerschaft und Österreichische Gewerkschaftsjugend.
Noch am Montag haben Studentenvertreter die Wiener Ringstraße gekehrt und damit gegen einen Kompromiss protestiert, der zur Gesichtswahrung zwar nötig, aber doch ein fauler ist.