Meinungsforscher Rudolf Bretschneider im "WZ"-Interview. | Beste Erfolgsaussichten für Strache. | "Wiener Zeitung": In der Vergangenheit waren große Koalitionen stets gute Zeiten für die Oppositionsparteien, denen frustrierte rote und schwarze Wähler quasi von selbst zugelaufen sind. Wird sich diese Entwicklung auch in den kommenden vier Jahren wiederholen?
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Rudolf Bretschneider: Ich glaube nicht, dass man so einfach Analogien mit der Vergangenheit ziehen kann - dasselbe gilt übrigens auch für die Aussage, dass in großen Koalitionen zwangsläufig der Juniorpartner verlieren muss. In der Vergangenheit haben die kleinen Parteien ja vor allem deswegen profitiert, weil sich die Großparteien gegenseitig blockiert haben. Das hat Jörg Haider groß gemacht. Es steht aber nirgendwo geschrieben, dass sich das wiederholen muss, die Regierungsarbeit könnte schließlich auch funktionieren.
Die Grünen positionieren sich seit dem 1. Oktober wieder eindeutig links der SPÖ. Sind hier zusätzliche Wählerstimmen zu holen?
Meiner Ansicht nach - aber das ist nur mein Bauchgefühl, empirische Daten liegen mir dazu nicht vor - haben die Grünen wieder einmal ein Mondfenster verpasst. Die Kommunikationsarbeit der letzten Monate - zuerst wurde die Unterstützung einer SPÖ-Minderheitsregierung ausgeschlossen, dann angeboten - war verwirrend. Hinzu kommt, dass die Grünen allein schon deshalb ein Problem bekommen werden, weil ihre derzeitige Führung in dieser Konstellation wohl nicht mehr bei Wahlen antreten wird. Bundessprecher Van der Bellen wird demnächst 63.
Aber weite Teile der Linken fallen doch jetzt wieder von der SPÖ ab. Davon müssten die Grünen profitieren.
Jetzt äußern sich nicht nur Linke kritisch zur SPÖ - Erich Haider, Franz Voves, aber auch Michael Häupl sind ja keine SPÖ-Linken. Das Problem ist, dass die Grünen ihre Äquidistanz zu SPÖ und ÖVP aufgegeben haben - damit lässt sich die Furcht vor Rot-Grün wieder leichter kampagnisieren.
Sichert die große Koalition wenigstens dem BZÖ das parlamentarische Überleben? Die Orangen wollen künftig ja als Partei des leistungsorientierten Mittelstandes der ÖVP Wähler abjagen.
Das ist sicher eine möglich Positionierung, der Erfolg hängt allerdings stark von den Persönlichkeiten ab. Hier würde ich bei Jörg Haider und Peter Westenthaler ein Fragezeichen setzen. Und dass das BZÖ künftig ganz auf das Ausländerthema verzichten will - die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube! Alles, was man schon einmal mit Erfolg ausprobiert hat, führt automatisch zur Bereitschaft, es noch einmal zu versuchen.
Und was können sich die Freiheitlichen von der großen Koalition erhoffen?
Heinz-Christian Strache wird es wohl in den kommenden vier Jahren am einfachsten haben. Die Frage wird sein, ob das intellektuelle Potenzial zu mehr reicht als nur zu einigen netten Sagern. Ich würde mich sehr wundern, wenn Strache nicht den alten Haider-Spruch "Wir haben Euch nicht belogen!" wieder ausgraben wird. Die Verunsicherung unter den SPÖ-Anhängern ist derzeit irrsinnig stark. Aber ich habe meine Zweifel, ob sich die Geschichte von vor 1999 wiederholen wird - dazu haben sich doch die Strukturen zu sehr verändert.
Dr. Rudolf Bretschneider ist Meinungsforscher und Geschäftsführer von GfK Austria.