Zum Hauptinhalt springen

SPÖ-Schwenk in der Europapolitik

Von Martyna Czarnowska und Brigitte Pechar

Politik

Gusenbauer: Vertrag von Lissabon nicht betroffen. | ÖVP: SPÖ provoziert Neuwahlen. | Voggenhuber ist "fassungslos". | Brüssel/Wien. Als Freund von Volksabstimmungen präsentierte sich Alfred Gusenbauer schon vor Jahren. So plädierte der SPÖ-Vorsitzende und damalige Oppositionsführer auch 2005 für eine Befragung des Volkes - allerdings eine europaweite. Damals ging es noch um die EU-Verfassung. Nun steht ein neuer EU-Reformvertrag zur Debatte. Sollte der aber nicht in Kraft treten - immerhin haben die Iren nein dazu gesagt -, könnte über ein mögliches nachfolgendes Dokument in Österreich abgestimmt werden. | Der SPÖ-Brief im Wortlaut


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ausgerechnet der Europapolitiker und EU-Parlamentarier Hannes Swoboda musste den von Wien ausgehenden Kurswechsel der SPÖ bestätigen. Ein neu formulierter Text müsste in Österreich einer Volksabstimmung unterzogen werden, erklärte er. "Die einzig mögliche Konsequenz, wenn wir Europa vorwärts bringen wollen, ist es, die Bevölkerung daran zu beteiligen", sagte Swoboda der "Wiener Zeitung." Es habe keinen Sinn, das Prozedere wie bisher zu wiederholen, sollte der derzeit geplante EU-Vertrag scheitern. Und ein neuer Text sei "nur mit breiter Bevölkerungsbeteiligung" durchzubringen.

"Kotau vor Zeitung"

Für den ÖVP-Europaabgeordneten Othmar Karas ist der Schwenk der SPÖ "ein peinlicher und schlecht orchestrierter Kotau" Gusenbauers und des künftigen Parteivorsitzenden Werner Faymann vor der "Kronen Zeitung". Immerhin hat das Blatt massiv gegen den EU-Vertrag angeschrieben. "Die SPÖ hat sich selbst als konstruktiver Partner in der EU aus dem Spiel genommen und sich mit den EU-Gegnern in ein Bett gelegt", meinte Karas.

Es handle sich um einen klaren Bruch der bisherigen SPÖ-Linie zur europäischen Integration, kritisierte auch Außenministerin Ursula Plassnik.

Dass Europapolitik immer wieder innenpolitischen Interessen geopfert wird, ist jedenfalls nicht nur in Österreich zu beobachten. Doch mittlerweile befindet sich das Land am unteren Ende der Skala, wenn es um die Zustimmung zur Europäischen Union geht. Nur 36 Prozent der Österreicher halten laut aktueller Eurobarometer-Umfrage ihre Mitgliedschaft in der EU für eine gute Sache; ein Viertel lehnt die Mitgliedschaft ab. Weniger Zustimmung hat die EU nur noch in Lettland, Großbritannien und Ungarn.

Diese Zahlen vor Augen - und im Wettbewerb mit den die EU massiv kritisierenden Parteien FPÖ sowie BZÖ - versucht die SPÖ, durch europaskeptische Aussagen mehr Unterstützung in der Bevölkerung zu erlangen. Gusenbauer begründete seinen Schwenk denn auch mit dem EU-Stimmungstief in der Bevölkerung: "Europa ist einfach zu wichtig, um angesichts eines solchen Stimmungsbildes zur Tagesordnung überzugehen." In der Union brauche es einen Politikwechsel hin zur Sozialunion und einen offenen Dialog mit der Bevölkerung. Um zu zeigen, dass dies ernst gemeint sei, verlange die SPÖ, "dass künftige Vertragsänderungen auch einer Volksabstimmung unterzogen werden sollen".

"Gemeinsame Linie"

Nicht betroffen von dieser Forderung ist der vom österreichischen Nationalrat bereits ratifizierte und von Bundespräsident Heinz Fischer unterschriebene Lissabon-Vertrag, sollte dieser nach dem Nein der Iren doch noch in Kraft treten.

Sowohl Gusenbauer als auch Faymann betonten ihre "gemeinsame Linie" in dieser Frage. Nun wollen die beiden mit dem Koalitionspartner die "neue Vorgangsweise öffentlich und ausführlich diskutieren". Außerdem verwies der Kanzler darauf, dass für diese Überzeugungsarbeit genügend Zeit bleibe, da ein neuer EU-Vertrag nicht absehbar sei.

Die ÖVP ortet in der neuen SPÖ-Linie den Versuch, Neuwahlen zu provozieren. Im Regierungsprogramm sei zwar in dieser Frage nichts festgeschrieben, sagte der stellvertretende ÖVP-Klubobmann Günter Stummvoll, aber es sei evident, dass der neue SPÖ-Chef Faymann auf die Linie der "Krone" eingeschwenkt sei. Aus dem Faymann-Büro heißt es dazu: "Das ist weder ein Neuwahl-Wunsch, noch eine Neuwahl-Provokation." Und, die SPÖ verlasse mit diesem Vorschlag die Linie des Regierungsprogramms nicht.

Prompt reagierten auch die anderen Parteien. Während der parteifreie Europaabgeordnete Hans-Peter Martin die geänderte Linie der SPÖ begrüßte und BZÖ-Vorsitzender Peter Westenthaler "eine Mogelpackung" ortete, sah der freiheitliche EU-Parlamentarier Andreas Mölzer eine "politische Finte", um sich mit dem Kurs der "Kronen Zeitung" zu arrangieren. Diese sei jetzt Bundeskanzler, befand der Grüne EU-Mandatar Johannes Voggenhuber, der sich ansonsten "fassungslos" über den Schwenk zeigte. Die neue SPÖ-Forderung sei "der Gipfel des Missbrauches Europas, um aus dem eigenen Versagen herauszukommen".

So heftig die österreichische Debatte aber nun ist, so theoretisch ist sie. Denn der Vertrag von Lissabon ist noch nicht völlig gescheitert. Und bis zu einem neuen Vertragswerk werden Jahre vergehen.