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SPÖ setzt auf Stimmensplitting, Grüne skeptisch

Von Brigitte Pechar und Christian Rösner

Politik

SPÖ schlägt Stimmensplitting vor. | Bis zu 60 Stimmen für Personen und mehrere Stimmen für Parteien geplant. | Politologe Pelinka erwartet Anstoß für Wahlrechtsdebatte im Bund. | Wien. "Wien wird noch heuer das modernste Verhältniswahlrecht Österreichs haben", sagte Andreas Höferl, Direktor des SPÖ-Klubs im Wiener Rathaus, am Freitag zur "Wiener Zeitung". Schon 2015 soll nach diesem neuen Wahlrecht gewählt werden. Vor allem soll das Persönlichkeitswahlrecht gestärkt werden. | Der Frust ist groß, die Politiker spüren das


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Die derzeit geltende Wahlordnung begünstigt die stärkste Partei. Bisher konnte in Wien die SPÖ mit 47 Prozent der Stimmen die absolute Mandatsmehrheit erreichen. Die Grünen hatten gemeinsam mit den anderen Oppositionsparteien ÖVP und FPÖ im Mai 2010 in einem Notariatsakt festgehalten, dass - sollte eine der drei Parteien künftig mitregieren - das Wahlrecht so geändert werden, dass die Verteilung der Mandate möglichst genau dem Prozentergebnis der jeweiligen Partei entspricht.

Rot und Grün haben sich im Koalitionsübereinkommen auf eine Wahlrechtsreform festgelegt. Kommenden Montag trifft sich erstmals eine Arbeitsgruppe mit SPÖ-Klubobmann Rudolf Schicker und dem Grünen Klubchef David Ellensohn an der Spitze, "um ein modernes Verhältniswahlrecht", so Höferl, auszuarbeiten. Wobei die SPÖ schon mit sehr konkreten Vorstellungen in diese Gespräche geht.

In ganz Europa entwickeln sich die Wahlgesetze in Richtung Personalisierung. "Wir müssen den Menschen die Möglichkeit geben, ihre Meinung zu verschiedenen Persönlichkeiten und Parteien zum Ausdruck zu bringen", sagt Höferl. Das Motto laute: Kumulieren und Panaschieren. Ein Wähler könnte demgemäß etwa bis zu 60 Vorzugsstimmen verteilen, auf alle Kandidaten unabhängig von der Partei. Aber auch für die Parteien soll jeder Wähler mehrere Stimmen zu vergeben haben.

Wie die Gewichtung der Persönlichkeits- und Parteistimmen dann erfolgt, ist noch völlig offen. Die SPÖ sei für viele Modelle offen, sagte Höferl.

Grüne fordern:One man, one vote

Noch heuer wollen SPÖ-Klubobmann Rudolf Schicker und Grünen-Klubchef David Ellensohn die Wiener Wahlrechtsreform zum Abschluss bringen.
© Newald

Viel vorsichtiger äußerte sich der grüne Klubobmann David Ellensohn. Dass man künftig mehrere Stimmen abgeben kann, sei nur "eine Idee und die kommt nicht von uns". Andererseits räumte Ellensohn ein, dass für ihn eine Zweitstimme nach deutschem Vorbild sinnvoll wäre. "Das würde bedeuten, die Leute haben mehr Persönlichkeitswahlrecht, gleichzeitig bleibt es proportional - und ist am Ende ein Verhältniswahlrecht." Für die Grünen als Kleinpartei eine Überlebensfrage. Ellensohn gab allerdings zu bedenken, dass ein solches Modell in Österreich überhaupt keine Tradition habe: "Das ist sicher schwierig durchzusetzen."

Um zu dem Grünen- Wunsch "one man, one vote" zu kommen, müsse auf jeden Fall das Vorzugsstimmenwahlrecht "tauglicher" gemacht werden, so Ellensohn.

Derzeit ist es nahezu unmöglich, die Parteilisten mit Vorzugsstimmen zu verändern. "Sogar wenn sich alle Wähler auf eine Reihung einigen würden, könnten sie nichts bewirken", so Ellensohn. Wenn man will, dass Listen umgestellt werden können, dann müsse man auch die 5-Prozent-Hürde deutlich senken. Für die Zukunft wünscht er sich, dass auch EU-Bürger und Drittstaatsangehörige nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer in Wien wählen dürfen.

Ausgeschlossen ist derzeit nur die Direktwahl des Bürgermeisters, weil dieser auch Landeshauptmann ist. Eine Direktwahl des Landeshauptmanns ist aufgrund der Bundesverfassung nicht möglich.

Keine Direktwahl des Landeshauptmanns

Zwar gibt es auf Bundesebene immer wieder Vorstöße zu einer Wahlrechtsänderung - vor allem gibt es seit Jahren eine Initiative für ein Mehrheitswahlrecht -, geändert wird aber wohl nur die Briefwahl.

Politikwissenschafter Anton Pelinka hält die Ansätze der Wiener SPÖ für "sehr interessant". "Das könnte die Debatte österreichweit ankurbeln." Zwar glaubt er nicht, dass in Wien die Mehrheitsprämie, die die stärkste Partei begünstigt, zur Gänze fallen wird, aber die Stärkung der Persönlichkeitselemente könnte den Grünen helfen, das Gesicht zu wahren.

Nationalratspräsidentin Barbara Prammer hat für Montag zu einem Symposium über eine Wahlrechtsreform ins Parlament (Beginn 9.30 Uhr) geladen.

Wissen

Panaschieren kommt aus dem Französischen panacher (farbig machen, mischen). Darunter versteht man laut Wikipedia bei einer Wahl mit Personen-Mehrstimmenwahlsystem das Verteilen mehrerer verfügbarer Stimmen durch den Wähler auf Kandidaten unterschiedlicher Wahllisten. Die Stimmen werden dann bei der Auszählung anteilsmäßig an die beteiligten Listen verteilt. Die Möglichkeit zum Panaschieren besteht in der Schweiz bei den Parlamentswahlen der verschiedenen Ebenen. In Deutschland bei Kommunalwahlen in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In Bremen und Hamburg kann bei Kommunalwahlen und der Landtagswahl panaschiert werden.