Zum Hauptinhalt springen

SPÖ und ÖVP in der evolutiven Sackgasse?

Von Bernhard Löhri

Gastkommentare
Bernhard Löhri war Direktor der Politischen Akademie der ÖVP, weiters internationaler Experte für Missionen des Rates der EU; als langjähriges Mitglied der Hernstein-Fakultät beschäftigte er sich intensiv mit Organisations- und Management-Entwicklung. Foto: privat

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Österreichs Konfliktkultur, die manchmal den Kompromiss vor der Konfliktschärfung kennt, schafft auch temporären Führungskollaps vor dem finalen Wahlergebnis. Der zwar erwartete aber dann doch plötzliche Abgang Werner Faymanns als SPÖ-Chef und Bundeskanzler hat es transparent gemacht: Resilienz als Eigenschaft der Widerstandskraft in widrigen Umständen ist keine Eigenschaft von SPÖ und ÖVP. Die SPÖ vollzieht eine Transplantation des Parteikopfes ohne Narkose auf offener Bühne, die ÖVP verwaltet ihre Not.

Die Wirkungsfelder der Politiker - auch im Rahmen der EU - und ihre Machtquelle - Akzeptanz in der politischen Partei - fallen zu diametral auseinander: eine der Dysfunktionalitäten unserer EU, die nationale Politik in schwierigen Zeiten fast zur "mission impossible" macht. Gruppen- und organisationsdynamische Prozesse werden in SPÖ und ÖVP kaum erkannt. Leadership ist bekanntlich mehr als Musikantenstadl auf dem Donauschiff. Parteien als herabgekommene Machtabstützungs- und Karriereorganisationsvereine - das rächt sich in Zeiten, in denen Bewährung gefragt wäre.

Wenn die SPÖ wieder einmal eine gewaltige Konzession an den Zeitgeist und die Gesetze des Pragmatismus macht, um Erfolg und Einflussmöglichkeit zu retten, muss sie nicht mehr viele Grundsätze aufgeben. Die vergangenen Jahre waren das, was sich mediengetriebene Politikinszenierung nennt, die Begriffe Abgrenzung (wichtig und unabdingbar) und Ausgrenzung (undemokratisch und nicht nachhaltig) haben die SPÖ in die evolutive Sackgasse koalitionärer Alternativenlosigkeit geführt.

Doch schafft es die SPÖ offenbar, neue Persönlichkeiten mit Potenzial und dem gefragten pragmatischen Macher-Image in die Politik einzubringen. Die ÖVP müsste es eigentlich wissen, ist doch der legendäre Alois Mock vom smarten Franz Vranitzky 1986 binnen Monaten souverän eingebremst worden. Und heute soll ein bemühter Außenminister der ÖVP die Kohlen aus dem Feuer holen? Das Außenministerium ist die wohl attraktivste Orgel der Staatsbürokratie mit Beamten, die sich ihrer elitären Performance quasi als die Lippizaner des Öffentlichen Dienstes bewusst sein dürften und nach einem Ressortchef ringen, der nicht nur in bemühter Form - einem Incoming Agent eines Vorstadtreisebüros gleich - internationale Konferenzen nach Wien bringen will und nebenher noch eine Selfie-Bibliothek in eigener Sache betreibt. Die delikate Frage guter Beziehungen zu den Nachbarstaaten, die schon wesentlich besser oder noch nie so schlecht wie jetzt waren, birgt noch erhebliche Bewährungsfelder.

Darstellbare personelle Weichenstellung der SPÖ

Die Gesetzmäßigkeiten professionellen Personalmanagements haben sich offenbar noch nicht überall herumgesprochen. Der Konnex von Prägung und Verantwortung samt den Auswirkungen auf Image, Charisma und Kompetenz werden jedenfalls von der SPÖ erkannt und fließen in die Personalauswahl ein. Politische Profil- und Konzeptlosigkeit der vergangenen Jahre haben SPÖ und ÖVP auf den gemeinsamen Pfad politischen Misserfolgs geführt, die SPÖ führt gerade eine darstellbare personelle Weichenstellung aus, die ÖVP schafft nicht einmal das, weil weit und breit niemand Geeigneter vorhanden ist.

Was die Programmatik anbelangt, so eint beide Parteien die Beliebigkeit und die Unfähigkeit, die Sorgen der Menschen zu erkennen. Keine Partitur, zu wenig talentierte Spieler und ein unfähiger Dirigent - das war der Stoff, aus dem der Albtraum Bundesregierung bestand.

Politische Unzufriedenheit löst eine Flucht der Wähler aus

Der Wählermarkt ist im Fluss, die Wähler fliehen in Scharen vor Inkompetenz und Unattraktivität. Noch sammeln sich die Wähler in neuen spontanen Teilmengen, Haufen von Treibsand gleich. Der Wunsch nach Neuem und Anderem kann auch nicht durch ein trotziges Bekennen der "Eliten", wie es anlässlich der Wahl zum Bundespräsident wahrnehmbar ist, korrigiert werden. Politische Unzufriedenheit löst eine Fluchtbewegung aus, aber "only a returnee ist a good refugee". Die Verabschiedung von altem Parteibild muss mit exzellenten Personen einhergehen. Schlägt die Kern-Wende dabei den Kurz-Schluss? Die ÖVP ist sich der Delikatheit ihrer Situation sicher bewusst.

Die Nicht-Beherrschung gruppen- und organisationsdynamischer Prozesse verursacht grosso modo das Elend von SPÖ und ÖVP - beide Parteien befinden sich in der evolutiven Sackgasse mangelnder Wirkungs- und Gestaltungsmöglichkeiten. Die SPÖ erweist sich dabei als talentierter bezüglich Korrektursituationen in letzter Minute. Die Kern-Wende in der SPÖ hat daher durchaus Potenzial - die ÖVP als Verwalter ihrer Not läuft hingegen Gefahr, einen Kurz-Schluss zu verursachen.