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Sport statt Medikamenten

Von Eva Stanzl

Wissen
Routine bei Diabetes: Der Nadelstich in den Finger, um den Blutzuckergehalt zu messen. Foto: Fotolia

Diabetiker, die gezielt Sport betreiben, können Medikation senken. | Präzise Angaben zur Zahl der Diabetiker "nicht im politischen Interesse". | Wien. Wir essen wie Schwerarbeiter, bewegen uns aber wie Schwerkranke. Während die Steinzeit-Menschen täglich 20 Kilometer zu Fuß unterwegs waren, laufen Europäer heute zwei Kilometer und US-Amerikaner gar nur 500 Meter am Tag, bei wesentlich höherer Kalorien-Zufuhr.


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Die weltweite Zunahme von Diabetes mellitus Typ 2 ist in 90 Prozent der Fälle das Resultat von Übergewicht. Die Krankheit ist für einen Großteil der Dialysepatienten verantwortlich und Hauptverursacher für Erblindungen und Amputationen. "Würden die Patienten mehr Bewegung machen, könnten sie die Krankheit in den Griff bekommen. Und würden Menschen mit der Neigung dazu rechtzeitig ihren Lebensstil umstellen, könnten sie eine Erschöpfung der Bauchspeicheldrüse verhindern", betont Christian Lackinger von der Sportunion Österreich (siehe auch "Wissen"). Heilung ist nicht möglich

Die Sportunion und die Medizinuniversität Wien haben die Langzeiteffekte von Bewegung im Kampf gegen Diabetes getestet. An der von März 2007 bis Dezember 2009 laufenden Studie nahmen 2500 Testpersonen im Durchschnittsalter von 59 Jahren teil, die an Diabetes Typ 2 in unterschiedlichen Stadien erkrankt waren. In der ersten, acht-wöchigen Phase mussten sie sich an eigens auf ihre körperlichen Leistungsfähigkeit zugeschnittene Bewegungsprogramme halten. Ziel waren die Förderung des Herz-Kreislaufsystems und die Kräftigung der Muskulatur. In der zweiten Phase wurden für die Dauer von zwölf Monaten die neuen Verhaltensweisen unter medizinischer Betreuung gefestigt.

Die Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf waren absolut positiv: "Sport wirkt bei Diabetikern wie ein Medikament. Einer von acht Patienten konnte nach acht Wochen ein bis zwei Medikamente weglassen, weil Sport die Insulin-Resistenz des Körpers verringert", erklärt der Diabetes-Experte Bernhard Ludvik von der Universitätsklinik für Innere Medizin in Wien. Er warnt jedoch: "Wenn man aufhört, Sport zu betreiben, müssen die Medikamente wieder eingenommen werden."

Diabetes Typ 2 sei nicht heilbar. Bestenfalls könne sein Ausbrechen verhindert werden - etwa durch 150 Minuten Herz-Kreislauf-Training und zwei bis drei Mal Krafttraining pro Woche.

Das Sportprogramm hatte bei den Teilnehmern auch einen nachhaltigen Effekt: Vor Beginn der Untersuchung absolvierten 76 Prozent keinerlei Herz-Kreislauf-Training, nach deren Ende waren es nur noch 46 Prozent. Beim Krafttraining schrumpfte der inaktive Anteil von 72 auf 34 Prozent. Für Lackinger ist es "ein großer Erfolg, dass die Hälfte bei dem Programm geblieben ist."

In Österreich sind rund 600.000 Menschen zuckerkrank, zeigt eine Hochrechnung der Diabetes Initiative Österreich. "Jedoch gibt es keine präzisen Zahlen, weil eine groß angelegte Erhebung noch niemand finanziert hat und eine solche nicht im politischen Interesse ist", sagt Ludvik. "Hätte man echte Zahlen, müsste man mit großen Präventionsprogrammen reagieren. Versicherungen denken aber in Ein-Jahres- und Politiker in Vier-Jahres-Abständen."

Zudem müsste man Prävention auf mehr Bereiche ausdehnen als bisher angenommen: Denn ein Zusammenhang zwischen den in industriell gefertigten Lebensmitteln enthaltenen Geschmacksverstärkern, die den Appetit anregen, und der wachsenden Zahl an Typ 2-Diabetikern liegt Ludvik zufolge "auf der Hand".

Egoistisches Gehirn

Abgesehen davon hat das Gehirn noch ein Wörtchen mitzureden. Dem Lübecker Diabetes-Spezialisten Achim Peters zufolge ist das Denkorgan an der Entstehung von Übergewicht beteiligt. Auf Traubenzucker als Treibstoff angewiesen, sei es daran interessiert, genügend Zucker zu bekommen. Das Hirn verschlingt die Hälfte und bei Stress sogar 90 Prozent der gegessenen Energie. Bei Stress spult es ein Notprogramm ab und löst Hungergefühl aus: Essen entspannt Gestresste - mit gewichtigen Nebenwirkungen.

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Diabetes mellitus, auch "Zuckerkrankheit" genannt, ist eine chronische Störung des Stoffwechsels. Grundlegend beteiligt sind das Hormon Insulin und der Einfachzucker Glukose, ein lebenswichtiger Nährstoff der Körperzellen. Insulin wird in den Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse gebildet und ist zuständig für den Transport der Glukose in die Zellen. Dem Diabetes liegt ein Insulinmangel und/oder eine Unter-Empfindlichkeit der Zellen für Insulin zugrunde.

Typ 1 Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, bei der der Insulinmangel im Vordergrund steht. Die Beta-Zellen der Bauchspeicheldrüse haben ihre Funktion verloren, wodurch keine Glukose in die Zellen gelangt. Typ 1 entsteht häufig in jungen Jahren, wer nicht Insulin spritzt, stirbt.

Bei Typ 2 Diabetes ("Altersdiabetes") ist die Insulin-Unter-Empfindlichkeit oder Insulinresistenz von vorrangiger Bedeutung. Begünstigt wird die Erkrankung durch fettreiche, ballaststoffarme Ernährung, Bewegungsmangel, Rauchen, Bluthochdruck und durch höheres Lebensalter. Übergewicht gilt als besonders wichtiger Faktor: Durch den erhöhten Körperfettanteil sprechen die Körperzellen immer weniger auf das Insulin an (Insulinresistenz). Die Bauchspeicheldrüse produziert daraufhin mehr Insulin. In der ersten Zeit kann sie der Insulinresistenz zwar gut entgegenwirken, nach einigen Jahren sind die Betazellen jedoch erschöpft. Und die Insulinproduktion versiegt.

Durch die am Anfang im Blut überreichlich vorhandene Glukose entstehen Schäden an Gefäßen, Nerven und Organen. Spätfolgen der unentdeckten Zuckerkrankheit sind Herzinfarkt, Schlaganfall, Nierenversagen (und in Folge Dialyse) sowie Erblindung. Im schlimmsten Fall endet auch dieser Diabetes tödlich.

Die Entstehung von Typ 2 Diabetes geht bei 90 Prozent der Patienten auf einen ungesunden Lebensstil zurück, dessen rechtzeitige Änderung dafür anfälligen Personen die Chance geben kann, den Ausbruch der Krankheit zu verzögern oder zu verhindern.