Maximal 15 Prozent der Migranten integrationsunwillig. | SPD verliert an Zustimmung. | Berlin. Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein. Am Mittwoch stellten der deutsche Innenminister und der Präsident des Bundesamtes für Migration das "Bundesweite Integrationsprogramm" vor, ein knapp 200 Seiten dickes Papier, in dem die Entwicklungen der vergangenen Jahre aufgeschrieben sind und Verbesserungsvorschläge gemacht werden.
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Seit der Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin vor zwei Wochen sein Buch "Deutschland schafft sich ab" veröffentlicht hat, rollt eine Lawine durchs Land. Sarrazin erklärt Muslime nicht nur für "integrationsunwillig", sondern auch für die "zunehmende Verdummung" Deutschlands verantwortlich.
Zeitungen und Talkshows führen seither besonders "integrationswillige" Mitbürger vor, die Kanzlerin gibt der türkischen Presse beschwichtigende Interviews, nicht aber ohne auf Probleme bei der Zuwanderung hinzuweisen. Und die SPD verliert in den Wahltrend-Barometern an Zustimmung, weil sie sich medienwirksam darum bemüht, Sarrazin aus der Partei auszuschließen. Vielen Anhängern, so Manfred Güllner, Chef des Umfrageinstituts Forsa, brenne aber das Thema Zuwanderung unter "den Nägeln", sie fühlten sich nicht ausreichend wahrgenommen.
Das lang geplante Integrationsprogramm bietet nun Innenminister Thomas de Maizière die Möglichkeit, das Thema sachlicher anzugehen. Für ihn steht fest: Es gab Versäumnisse der Politik, doch seit rund fünf Jahren würden sich die "großen Volksparteien intensiv" um das Thema kümmern: Seit 2005 sind sogenannte Integrationskurse für Neuzuwanderer und Langzeitarbeitslose mit Migrationshintergrund verpflichtend.
In mindestens 600 Stunden lernen die Teilnehmer Deutsch, in 45 Stunden Geschichte und Recht in Deutschland. Wer die Kurse nicht zu Ende macht - 30 Prozent sind das derzeit -, muss damit rechnen, dass ihm staatliche Leistungen etappenweise gekürzt werden. Allerdings fordert de Maizière auch hier, genau hinzuschauen: Vielleicht sei ja die Teilnehmerin krank, vielleicht werde ihr der Kursbesuch von ihrem Mann verboten - dann dürfe man nicht strafen.
Ein "ganz großer Anteil" der Migranten sei jedenfalls "integrationswillig" und nur zehn bis fünfzehn Prozent - "nicht nur Muslime" - seien das nicht: Sie beteiligen sich demnach nicht an Angeboten wie Sprachkursen und bleiben "unter sich". "Sprache, Sprache, Sprache" sei der Schlüssel zu Integration, das heißt zu gesellschaftlicher Teilhabe, Bildung und Arbeit.
Mehr Lehrer mitMigrationshintergrund
Allerdings: Von einem verpflichtenden Kindergartenbesuch hält de Maizière nichts: Das sei eine "erhebliche Kostenfrage" für Länder und Kommunen und ein "massiver Eingriff" in die Erziehung durch die Eltern. Doch wie können dann Defizite ausgeglichen werden? Immerhin verlassen 15 Prozent der ausländischen Jugendlichen die Schule ohne Abschluss - 6,2 Prozent sind es bei den Deutschen. Albert Maximilian Schmid, Chef des Bundesamtes für Migration, hofft auf viele Lehrer mit Migrationshintergrund, die eine wichtige Vorbildfunktion erfüllen könnten.
Die Forderung vom Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung weist de Maizière indes zurück: Klaus Zimmermann erklärte, Deutschland brauche "dringend Arbeitskräfte aus dem Ausland", mindestens 500.000 pro Jahr. Nur dort, wo es tatsächlich Bedarf gebe, könne auf gezielte Zuwanderung gesetzt werden, so de Maizière. Auch von der CSU hieß es: "Der deutsche Arbeitsmarkt hat kein Zuzugsdefizit, sondern ein Qualifizierungsdefizit."
Wissen: Integration in Österreich
(kats) In Österreich ist die Frage nach der Integration der fast 1,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund ein Dauerthema. Im Jänner hat die Regierung einen Nationalen Aktionsplan für Integration fixiert, der auch die vielkritisierte Deutschpflicht vor der Einreise enthält.
Ein entsprechender Entwurf wurde Anfang August vorgelegt. Gleichzeitig soll die Integrationsvereinbarung ausgeweitet werden. Demnach müssen Zuwanderer künftig innerhalb von zwei Jahren (bisher fünf) das Sprachniveau A2 (Verstehen einfacher persönlicher Briefe) nachweisen. Dies ist in 300 Kursstunden zu erlernen. Sonst droht im Extremfall die Ausweisung. Für eine dauerhafte Niederlassung muss innerhalb von fünf Jahren ein höheres Sprachniveau erlernt werden.
In Deutschland ist die Regelung strenger: Dort müssen Migranten, die ab 2005 eingewandert sind, Integrationskurse von 645 Stunden absolvieren.
Demgegenüber ist die Kindergartenpflicht, gegen die sich der deutsche Innenminister ausspricht, in Österreich bereits Realität: Seit Anfang September gilt das verpflichtende letzte Kindergartenjahr für alle Fünfjährigen. Ursprünglich sollte diese Regelung nur jene betreffen, bei denen im Rahmen einer Sprachstandsfeststellung Defizite erkennbar werden - 2008 waren das 58 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund.
In einem Punkt orientiert sich Österreich an Deutschland: Bis 2013 soll nach deutschem Vorbild ein einheitliches Bundesamt für Asyl und Migration geschaffen werden.