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"Sprache und Geschichte sind immer eins"

Von Christine Dobretsberger

Reflexionen

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"Gute Quoten sagen meiner Meinung nach noch nichts über die Qualität aus. Außerdem ist es nicht Aufgabe eines öffentlich-rechtlichen Senders, gute Quoten zu erzielen." David Schalko
© Eva Wahl

"Wiener Zeitung": Herr Schalko, Sie sind ein Mensch, der am laufenden Band Geschichten erfindet und diese entweder zu Büchern oder Filmen verarbeitet. Welcher Plot spielt momentan die Hauptrolle für Sie?David Schalko: Zur Zeit arbeite ich an einer Serie für den ORF, in der Gert Voss die Hauptrolle spielen wird.

Wovon handelt sie ?

Die Serie heißt "Altes Geld" und spielt in einem reichen Wiener Milieu. Mehr kann ich noch nicht verraten. Ausgestrahlt wird sie 2015.

Wie gehen Sie an ein neues Filmprojekt heran? Haben Sie einen bestimmten Schauspieler vor Augen, dem Sie ein Stück auf den Leib schreiben möchten, oder markiert die Idee zu einer Geschichte den Start für einen neuen Film?

Beides gleichzeitig. Es gibt eine Grundidee und ich suche mir dann Schauspieler, für die ich schreibe, weil dies das Arbeiten ungemein erleichtert. Oft sind die Schauspieler auch insofern in den Schreibprozess eingebunden, als sie die Bücher sehr früh bekommen und man von Anbeginn viel über die Rollen spricht. Es ist ein laufender Prozess, der sich oft über ein ganzes Jahr zieht, ehe man zum Drehen beginnt.

Mit anderen Worten: Die Hauptdarsteller Ihrer Filme haben ein Mitspracherecht?Sie haben ein Mitspracherecht, weil ihr Input wichtig ist. Man könnte es auch als Feedbackprozess bezeichnen, als gemeinsames Wachsen am Projekt. Der wichtigste Partner beim Film ist klarerweise der Schauspieler. Das Drehbuch ist letztlich eine Gebrauchsanweisung für den Dreh - und nicht ein Stück Literatur im Sinne eines Romans, weil das Drehbuch immer seine Umsetzung benötigt. Ein Drehbuch denkt alle künstlerischen Faktoren mit, die für einen Film notwendig sind. Es ist die wichtigste Basis, sozusagen die Partitur, aber dennoch nicht der allein entscheidende Faktor.

Welche Faktoren deckt ein Drehbuch nicht ab?

Manche Passagen lesen sich oft anders, als sie dann in der gespielten Umsetzung wirken. Wenn ihnen Leben eingehaucht wird, ist das oft etwas ganz anderes als das geschriebene Wort, auch wenn das gleiche Wort gesprochen wird.

Wie sieht es in diesem Metier mit der Eitelkeit aus? Als Drehbuchautor liefert man sozusagen die DNA eines Films und bleibt im Vergleich zu den Schauspielern sehr im Hintergrund. Stört Sie das?

Nein, ich finde, Eitelkeiten gehören woanders hin. Beim Geschichtenerzählen geht es einzig und allein um die Geschichte selbst. Und wer das nicht versteht, ist ein schlechter Geschichtenschreiber. Es ist klar, dass derjenige, der vor der Kamera steht und dem Text Leben einhaucht, derjenige ist, mit dem der Text am meisten verwechselt wird. Und das ist auch gut so, weil es letztlich auch ein Kompliment an das Werk ist, das immer ein Gesamtwerk von vielen Menschen ist. Und eitel sind sowieso alle in diesem Beruf. Aber die Eitelkeit drückt sich stets unterschiedlich aus.

Bei den meisten Ihrer Projekte zeichnen Sie sowohl für Drehbuch, Regie und Produktion verantwortlich. Sie haben offensichtlich gerne alle Fäden in der Hand?

Regie macht man zuallererst deshalb, weil man seinen Text beschützen will. Und das Produzieren hat einerseits mit Entscheidungsfreiheit zu tun, andererseits trägt man natürlich auch die finanzielle Verantwortung, aber es führt für mich zu einem vollständigeren Gefühl einer Sache gegenüber.

Wird Robert Palfrader in Ihrer neuen TV-Serie ebenfalls mitwirken?

Ja, er spielt auch mit.

Ihre beiden Karrieren verlaufen zeitweise parallel. . .

Wir haben mit der Sendung "Zap" auf Wien 1 begonnen. Robert Palfrader war der Moderator, ich führte Regie. Mittlerweile verbindet uns eine sehr lange Freundschaft - und immer wieder gehen Dinge Hand in Hand.

Ursprünglich wollten Sie ja auch Schauspieler werden.

Das war als Jugendlicher ein kurzer Wunsch, der, glaube ich, an mangelndem Talent, Willen und Schüchternheit gescheitert ist.

Immerhin ging der Wunsch so weit, dass Sie die Aufnahmeprüfung am Reinhardt Seminar probierten. Hatten Sie da eine bestimmte Rollenvorstellung?

Ich denke, Oskar Werner spielte eine gewisse Rolle. Als Jugendlicher habe ich ihn sehr bewundert. Heute bin ich froh, dass ich das mache, was ich mache, und nicht Schauspieler geworden bin. Wer schreibt oder Regie führt, ist viel unabhängiger als ein Schauspieler. In Österreich oder Deutschland wird nicht so viel gedreht und man ist sehr darauf angewiesen, welche Rollen man bekommt. Die meisten Schauspieler können es sich nicht leisten, kompromisslos zu agieren und müssen auch weniger ansprechende Angebote annehmen, um ihre Miete zahlen zu können. Das bleibt mir erspart.

Anstelle der ursprünglich erhofften Schauspielausbildung standen dann zehn Semester WU-Studium am Programm. War das ein konkreter Berufswunsch oder eine Übergangslösung?

Das Studium hat sich ergeben. Die Alternative wäre arbeiten gewesen, aber ich wollte mir noch offen lassen, was ich machen möchte. Außerdem wollte ich Raum haben, um zu schreiben.

Ihre erste Veröffentlichung war ein Lyrik-Band.

Mir wurde schnell klar, dass ich davon leider nicht leben kann. Dann kam mit 22 eben diese Chance, mit Robert Palfrader die Sendung "Zap" zu machen, was für mich eine ideale Spielwiese darstellte. Wien 1 war ein sehr kleiner Regionalsender und für viele junge Leute ein wunderbares Experimentierfeld. Wir hatten das Glück, dass man uns völlig freie Hand ließ, wir konnten machen, was wir wollten und bekamen auch ein bisschen Geld dafür. Wir konnten viele Dinge ausprobieren, die später zur Handschrift wurden.

"Beim Geschichtenerzählen geht es einzig und allein um die Geschichte selbst. Und wer das nicht versteht, ist ein schlechter Geschichtenschreiber": David Schalko im Gespräch mit "Wiener Zeitung"-Mitarbeiterin Christine Dobretsberger.
© Eva Wahl

Der Einstieg in den ORF erfolgte über die von Ihnen und Fred Schreiber konzipierte "Sendung ohne Namen".

Ja, das war mein erstes TV-Format für den ORF. Dann machte ich relativ viel für die Donnerstag-Nacht-Schiene des ORF. Wobei die heute viel kommerzieller ist als vor elf Jahren. Damals war wesentlich mehr möglich.

Woran liegt das?

An weniger Budget und mehr Ängsten wahrscheinlich. Das Fernsehen und das Fernsehpublikum ändern sich. Der Zuseher ist heute tendenziell älter als früher, das heißt, das Fernsehen ist immer weniger bereit, große Risiken einzugehen. Fernsehen versteht sich immer weniger als Kunsthersteller, sondern mehr als eine Art Dienstleister. Auch der Grund, weshalb Menschen Fernsehen machen, hat sich verändert. Früher war Fernsehmachen oft mit dem Anliegen verbunden, bestimmte Inhalte senden zu wollen, heute entspricht es eher einem Reagieren auf die Wünsche des Publikums. Man schaut, was woanders gut funktioniert und macht das dann.

Fehlt den TV-Verantwortlichen der Mut zum Risiko?

Fernsehdenken geht mehr in die Richtung, was dem Zuschauer gefallen könnte, als dass es dem Zuschauer etwas vorschlägt, von dem der Zuseher vielleicht noch gar nicht weiß, ob es ihm gefallen könnte. Diese Einstellung zieht sich durch das Metier Fernsehen durch. Egal, ob das ein privater oder ein öffentlich-rechtlicher Sender ist.

Sie fungieren auch als Produzent der Late-Night Show "Willkommen in Österreich" mit Stermann und Grissemann. Wie sieht hier der Input von Ihrer Seite aus?

Ich versuche, gar keinen Einfluss darauf zu nehmen. "Willkommen Österreich" ist ein Machwerk von vielen. Ein Teil der Gags stammt von Stermann und Grissemann, den übrigen Teil schreiben andere Autoren.

"Willkommen Österreich" zählt immer noch zu den gewagtesten Sendungen des ORF in Sachen schräger Humor.

Das stimmt ganz sicher, aber allein die Tatsache, dass es so ist, sagt schon sehr viel über das Fernsehen aus. Es gab eine Zeit, wo diese Sendung als Mainstream verstanden worden wäre. Inzwischen wird sie als Lanze für Fernsehavantgardismus gesehen. Letztendlich ist "Willkommen Österreich" eine klassische Late-Night Show und unterscheidet sich durch nichts von anderen Late-Night Shows.

Wie sieht es vergleichsweise im deutschen oder im englischen Fernsehen mit experimentellen TV-Formaten aus?

In Österreich geht im Vergleich zu Deutschland noch sehr viel. Das hat sicherlich etwas mit der Mentalität und mit der Vergangenheit von Fernsehen hierzulande zu tun. Trotzdem passiert, wie gesagt, auch im österreichischen Fernsehen relativ wenig, das den Zuschauer herausfordert. Das verhält sich im englischen Raum sicherlich ähnlich. Der Unterschied ist, dass es dort mehr Geld und mehr Möglichkeiten gibt, was dazu führt, dass als Spitze der TV-Qualität mehr übrig bleibt als in Österreich oder Deutschland.

Ihre letzte TV-Serie, "Braunschlag", brachte mit bis zu einer Million Zuseher pro Folge Traumquoten. Haben Sie mit diesem Erfolg gerechnet?

Nein, aber nach meinem Empfinden spiegelt sich der Erfolg von Dingen eher im Gelingen als in Einschaltquoten. Gute Quoten sagen meiner Meinung nach noch nichts über die Qualität aus. Außerdem ist es nicht Aufgabe eines öffentlich rechtlichen Senders gute Quoten zu erzielen, sondern möglichst relevante Inhalte herzustellen.

Sie sind im Waldviertel geboren. Gab es nach "Braunschlag" Reaktionen von Seiten der hiesigen Bevölkerung?

Ich habe nicht sonderlich viel Kontakt zu den Menschen dort. "Braunschlag" hat natürlich polarisiert, aber es handelt sich hierbei ja um eine Erzählung, die genauso gut in Oberösterreich hätte spielen können. Es war nicht meine Absicht, Leute zu denunzieren und sie im Stile von Elizabeth Spira vorzuführen. Das ist nicht Sinn dieser Erzählung und empfinde ich auch nicht so.

Es ist auffallend, dass die Protagonisten von erfolgreichen österreichischen Filmproduktionen zumeist schwere Trinker sind. Ich denke jetzt nicht nur an "Braunschlag", sondern auch an "Mundl", "Polt" etc. Ist dieses Thema, dieses Klischee nicht bald einmal durch?

Ich sehe das nicht als Klischee, sondern als Realität. Die dargestellten Figuren in "Braunschlag" sind sehr authentische Figuren, Menschen, die man auf der Straße trifft. Die Handlung mag übertrieben sein, aber die Figuren sind überhaupt nicht überzeichnet. Das wird Ihnen jeder bestätigen, der diese Gegend kennt. Warum also soll man keine Geschichten zu diesem Thema erzählen?

Sind Sie der Ansicht, dass österreichische Regisseure und Autoren einen schonungsloseren Blick aufs eigene Land werfen, als dies anderswo der Fall ist?

Ich denke, dass dieser schonungslose Umgang mit sich selbst sehr viel mit dem Wesen der österreichischen Kunst zu tun hat. Der Deutsche hat da viel größere Hemmschwellen, weil er nicht so ein Selbstzerfleischer ist wie der Österreicher. Das bringt Vor- und Nachteile mit sich: den Nachteil des mangelnden Selbstbewusstseins und den Vorteil, dass im Kunstbereich sehr interessante und ungewöhnliche Dinge entstehen. Einen Autor wie Thomas Bernhard oder Filmemacher wie Michael Haneke oder Ulrich Seidl wird man so schnell andereswo nicht finden.

Nun zu Ihrem schriftstellerischen Werk. Mit "Knoi" haben Sie Ihren nunmehr dritten Roman veröffentlicht. Auffallend an diesem Werk ist, dass Inhalt und Sprache sehr im Kontrast stehen. Warum haben Sie für ein Buch voller Abgründe eine eher poetische Sprache gewählt?

"Regie macht man zuallererst deshalb, weil man seinen Text beschützen will." David Schalko
© Eva Wahl

Man kennt diesen Gedanken vielleicht mehr aus der Musik, speziell von der Oper. In manchen Mozart-Opern erzählt die Musik etwas völlig anderes als man auf der Bühne sieht. Da hört man Trauer und man sieht eine Liebesszene. Da schwingen wie im echten Leben immer mehrere Empfindungsebenen mit. Eine zweite Idee des Buches ist, dass alles, was man denkt, auch zur Handlung wird. Es ist kein Leben im Konjunktiv der Protagonisten, sondern ein Leben in der totalen Gedankenrealität. Fantasierte Sehnsüchte und Realismus sind nicht zu trennen, weil meiner Ansicht nach ein Buch eine weitläufigere Realität ermöglicht. Ein Buch ist allumfassender und muss die Dinge nicht trennen, weil es ein Stück Text ist.

Die Realität 1:1 abzubilden ist also nicht Ziel Ihres Schaffens?

Nein. Kunst hat die Möglichkeit, alles anders zu machen. Ich empfinde eine größere Nähe zu Fellini als zum modernen Realismus, weil Kunst sehr viel mit Entbanalisierung zu tun hat und dem Leben etwas draufsetzen kann, was mehr ist, als der Realität eine Empfindung zu geben. Das ist auch eine Freiheit der Kunst.

Sehr realistisch hingegen ist in "Knoi" die Sehnsucht der Protagonisten nach Liebe oder besser gesagt die Verwechslung von Liebe und Obsessionen.

Wie die Protagonisten agieren, ist total vorstellbar. Und in der Kunst ist alles real, was vorstellbar ist, weil Kunst letztendlich nichts anderes verhandelt als das Vorstellbare. Kritiker oder Rezensenten versuchen das oft auf ein Mindestmaß an Realität runterzukochen, wodurch eine seltsame unlustvolle Art entsteht, mit Literatur oder Kunst umzugehen. Es geht aber nicht um Realismus, sondern um Glaubwürdigkeit. Das ist wie bei der Zauberei.

Ihr vorletzter Roman, "Weiße Nacht", bedient sich wiederum einer ganz anderen Sprache und ist eine Politsatire, deren Hauptfigur Stefan Petzner nachempfunden ist.

Ich würde sagen, es ist ein Buch über jemanden wie Stefan Petzner. Wie bei "Knoi" geht es eigentlich um die Innenlebenfantasie eines Menschen. Es ist klarerweise eine surreale Handlung, aber letztlich geht es um Sehnsüchte und Fantasien, die in seiner Welt durchaus vorstellbar sind. "Weiße Nacht" ist ein Märchen, das er sich selber erzählt.

Drängt sich eine Hauptfigur für ein neues Buchprojekt auf, eventuell eine Persönlichkeit vom politischen Parkett?

Nein, Romane sind für mich ja keine Karikaturen auf das ohnedies schon sehr langweilige österreichische Politgeschehen. "Weiße Nacht" war da wirklich eine Ausnahme.

Signifikant für Ihr schriftstellerisches Schaffen ist die Tatsache, dass Sie in allen Ihren Werken einen anderen Sprachstil, einen unterschiedlichen Tonfall verwenden. Was ist nun Ihre erzählende Sprache?

Diejenige, die der Geschichte eingeboren ist. Sprache und Geschichte sind immer eins. Und der Ursprung der Geschichte ist immer die Sprache.

Christine Dobretsberger, 1968 in Wien geboren, freie Journalistin und Autorin, Geschäftsführerin der Text- und Grafikagentur "Lineaart".

Zur Person
David Schalko, geboren 1971 in Waidhofen an der Thaya, wuchs in Wien auf. Der 41-jährige Autor, Produzent, Filmemacher und Entwickler von Fernsehsendungen zeichnet für TV-Formate wie "Sendung ohne Namen", "Dorfers Donnerstalk", "Sunshine Airlines", "Kupetzky", "Die 4 da" und "Willkommen Österreich" verantwortlich. Als Regisseur und Drehbuchautor realisierte er TV-Produktionen wie "Das Wunder von Wien: Wir sind Europameister", "Aufschneider" (Co-Autor Josef Hader) und "Braunschlag". "Knoi" (Verlag Jung und Jung, 2013) ist nach "Frühstück in Helsinki" (Czernin Verlag, 2006) und "Weiße Nacht" (Czernin Verlag, 2009) sein dritter Roman.

Auszeichnungen (Auswahl):

Goldene Romy 2009, "Beste Dokumentation", für "Das Wunder von Wien: Wir sind Europameister";
Goldene Romy 2010, "Beste Regie", für "Aufschneider";
Erich-Neuberg-Preis 2010, für "Aufschneider";
Comedy Festival Montreux Nominierung Best Sitcom, für "Braunschlag"
Goldene Romy 2013, "Spezialpreis der Jury", für "Braunschlag";
Indie Fest, Kalifornien: Awards of merit: Best leading role, Television, Humor, für "Braunschlag".