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Sprache verstehen

Von Eva Stanzl

Wissen

Philosophie, die stets aktuell ist: Mit Ludwig Wittgenstein befasst sich ein Symposium in Kirchberg am Wechsel.


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© Arturo Espinosa / Eugenio Hansen - CC 4.0

Wien/Kirchberg. Viele Unstimmigkeiten entstehen, wenn wir nicht wissen, wie wir klar sagen können, was wir meinen. Ludwig Wittgenstein könnte helfen. Der 1889 in Wien geborene Philosoph war Experte dafür, wie leicht beim Philosophieren etwas schiefgehen. In seinem ersten Hauptwerk, "Logisch-philosophische Abhandlung" (Tractatus logico-philosophicus, 1921) ging er der Frage nach, wovon sinnvoll die Rede sein kann. Die damals revolutionäre Antwort: Worte ermöglichen es, uns Bilder von Fakten zu machen. Der Satz "Die Palme steht am Strand" evoziert das Bild einer Palme am Strand, dem etwas in der Wirklichkeit entsprechen oder nicht entsprechen kann. Ein Satz, dem kein Bild einer möglichen Wirklichkeit entspricht, ist sinnlos.

Später erkannte Wittgenstein Sprache auch als Werkzeug. Wenn ein Vater sein verängstigtes Kind mit den Worten "alles wird gut" beruhigt, macht er keine Vorhersage auf der Basis verfügbarer Fakten, sondern will mit Worten Trost und Sicherheit vermitteln. Philosophische Probleme entstehen, wenn wir die Funktionsweise unserer Sprache missverstehen oder auf einige wenige reduzieren wollen.

Wittgenstein, einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts, wollte hilfreich sein: Philosophie, sagte er, zeigt der Fliege den Weg aus dem Fliegenglas. Welche Wege würde er heute zeigen in unserer vielseitigen jedoch widersprüchlichen Welt? Welche Rolle spielt die Logik darin, die Welt richtig zu ordnen? Fragen wie diesen gehen hochkarätige Experten beim 41. Internationalen Wittgenstein Symposium der Österreichischen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft nach. Die Tagung in Kooperation mit der "Wiener Zeitung" findet von 5. bis 11. August im niederösterreichischen Kirchberg am Wechsel statt. Koorganisator Bernhard Ritter führt kurz in Wittgensteins Denken ein.

"Wiener Zeitung": Eine 25-jährige Frau ist auf sozialen Medien aktiv, betreibt einen Blog und finanziert sich das Studium mit Gelegenheitsjobs. Was hätte sie davon, Ludwig Wittgenstein zu lesen?

Bernhard Ritter: Wittgenstein muss man nicht interessant machen. Seine Philosophie ist zwar komplex, aber er formuliert prägnant. Seine Sätze sind gut zitierbar und ziehen an. Wir leben in einer Zeit, in der es immer mehr Expertenwissen gibt. Man gewinnt leicht den Eindruck, dass man zu wenig weiß. Wittgenstein hat eine Philosophie konzipiert, deren Merkmal es ist, dass man eigentlich alles bereits weiß, um die Probleme, um die es geht, lösen zu können. Man muss insbesondere keine empirische Untersuchung anstellen, um zu einer Lösung zu kommen.

Ein Beispiel dafür?

Wir haben es immer wieder mit Probleme zu tun, die entstehen, weil wir uns vielleicht nicht genau auskennen, wie wir etwas betrachten und über etwas reden sollen. Für Wittgenstein ist das Ziel der Philosophie, "der Fliege den Weg aus dem Fliegenglas zu zeigen". Dahinter steht die Idee, dass man für ein Problem selbst verantwortlich sein kann. Das Fliegenglas ist eine Art Flasche, in die die Fliege nur von unten hineinfliegen kann. Wenn das Insekt in das Fliegenglas hineingerät, such es den Ausgang instinktiv nur oben. Es ist im Fliegenglas eigentlich gar nicht gefangen, sondern in seiner Art, den Ausweg zu suchen. Das bedeutet für uns: Wenn wir ein philosophisches Problem lösen wollen, müssen wir fragen, wo der Fehler passiert ist. Daraus kann man einen Standpunkt entwickeln, der dem Alltagsleben nahesteht.

Ein Philosoph bietet Hilfestellung bei praktischen Problemen?

Praktische Probleme drehen sich in der Regel um Mittel zum Zweck. Die Lösung solcher Probleme wird immer von unserer Erfindungsgabe und von Dingen abhängen, die man erst noch in Erfahrung bringen muss. Die Philosophie im Sinne Wittgensteins stellt dagegen begriffliche Untersuchungen an, um zu ermitteln, was möglich und was notwendig ist, und wo sich Ungereimtheiten ergeben. In der Philosophie beweist man nicht und sucht nicht nach neuem Wissen. Die Lösungen liegen vielmehr darin, vorhandenes Wissen richtig zu ordnen und die Funktionsweisen unserer Sprache besser zu überblicken.

"Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Ist diese Maxime ein gutes Mittel gegen Gerüchte und Fake News?

Man braucht nicht unbedingt Wittgenstein, um Fake News zu erkennen. Er trat aber für die Kultivierung des gesunden Menschenverstandes ein. Die Aussage, dass 9/11 von der US-Regierung inszeniert wurde, etwa hat den Charakter einer Hypothese, und was manifest ist, lässt sich mit unterschiedlichen Hypothesen erklären. Um sie zu prüfen, sollte man Menschenverstand einsetzen. Auch in seinen Vorlesungen zu den Grundlagen der Mathematik sagte Wittgenstein zu seinen Studenten: Wenn sie den Hörsaal betreten, behandeln Sie Ihren common sense nicht wie einen Regenschirm, den man draußen lässt, bevor man eintritt, sondern nehmen Sie ihn mit herein!

Sprache besteht auch aus anderen Elementen. Können wir wirklich nur in Worten sprechen?

Wittgenstein hat sich mit vielen Arten von Sätzen auseinandergesetzt. Er befasste sich auch mit ästhetischen Aussagen über Musik. Solche Aussagen lassen sich nicht durch die Fakten überprüfen, sondern durch unsere Übereinstimmung untereinander.

Wittgenstein befasste sich auch mit den Grundlagen der Mathematik, in der sich alles um Beweise dreht. Ein Widerspruch?

Es ist möglich, zu vielem eine Philosophie zu haben: zur Psychologie, zur Kunst und eben auch zur Mathematik. Für Wittgenstein wäre eine Konzeption der Zahl, die nicht sinnvoll in Beziehung gesetzt werden kann mit der Art und Weise, wie wir Dinge zählen, ein Hinweis darauf, dass wir einer Illusion anhängen, und uns einen anderen Begriff davon machen müssen.

Philosophie der Logik und Mathematik

Überlegungen zur Mathematik haben seit der Antike eine Grundstellung in der Philosophie. Von 5. bis 11. September werden in Kirchberg am Wechsel Kopfnüsse geknackt: Das von der Österreichischen Ludwig-Wittgenstein-Gesellschaft organisierte Wittgenstein-Symposium zählt zu den weltweit führenden Fachtagungen und versammelt rund 200 Teilnehmer in der mit der Biographie des Philosophen verbundenen Region, der hier als Volksschullehrer arbeitete. Das Programm dreht sich heuer um die Philosophie der Logik und Mathematik.

Warum ist 1+1=2 wahr? Weil das, was auf der einen Seite der Gleichung steht, identisch ist mit der anderen Seite. "Ein falscher Satz würde bedeuten, dass man sagt, etwas ist mit sich selbst nicht identisch. Das ist ein Widerspruch", sagt Koorganisatorin Gabriele Mras, Philosophin am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Wirtschaftsuni Wien. "Das ist eine Position. Die zweite Position ist, dass der Widerspruch nur an uns und unseren konventionellen Vorstellungen liegt." Wie kann man Notwendigkeit verstehen? Und wann würden wir unser Interesse, die Welt zu verstehen, verlieren? "Die besondere Stellung des Denkens über die Mathematik liegt daran, dass sie unmittelbar mit diesen Fragen verbunden ist", so Mras.

Welche Formen von Logikwir überdies für ein besseres Weltverständnis benötigen, wird beim Symposium unter anderem analysiert. Das Programm finden Sie hier.

Bernhard Ritter ist Studienprogrammleiter und Universitätsassistent am Institut für Philosophie der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt und Koorganisator des Symposiums. Zu seinen Schwerpunkten zählen die Sprachphilosophie von Ludwig Wittgenstein und die Philosophie von Immanuel Kant.