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Sprachhilfe oder Ghetto-Klassen?

Von Ina Weber

Politik

Grüner Koalitionspartner und SOS Mitmensch kritisieren Regelung


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Wien. Im Herbst 2013 ist es wieder so weit. Dann beginnt für rund 16.000 Kinder die Schulzeit. Bereits von 14. bis 25. Jänner werden die zukünftigen Tafelklassler auf ihre Tauglichkeit überprüft. Zehn Prozent von ihnen werden nicht in die erste Klasse, sondern in die Vorschule kommen, vor allem dann, wenn sie nicht ausreichend Deutsch können. Denn ab heuer soll in Wien bei der Schuleinschreibung verstärkt auf das Beherrschen der deutschen Sprache wertgelegt werden.

Der Wiener Stadtschulrat reagiert damit auf schlechte Ergebnisse bei Pisa-Tests und darauf, dass in Wien über 50 Prozent der Schüler nicht Deutsch als Muttersprache haben. "Wer nicht versteht, was gesagt wird oder geschrieben steht, hat in der Schule keine Chance", begründet Stadtschulratspräsidentin Susanne Brandsteidl die Maßnahme. In Zukunft sollen die Schulen beim Einschulungstest verstärkt die deutschen Sprachkenntnisse des Kindes berücksichtigen; ganz nach dem Motto "Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr".

Neu ist das Modell allerdings nicht. Im Jahr 2008 führte die Stadt Wien das "1+1 Fördermodell" ein: ein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr und ein Vorschulklassenjahr, wenn die Fähigkeiten des Kindes nicht ausreichen. Seitdem besuchen 1658 Kinder in Wien eine Vorschule. Insgesamt gibt es derzeit 117 Vorschulklassen. Ein Viertel der Kinder in den Vorschulklassen haben Deutsch als Muttersprache.

Das Prüfverfahren bei der Schuleinschreibung ändert sich auch nicht. Wie eh und je werden die Kinder auf ihre motorischen, sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten überprüft.

Schulreif ist, wer dem Unterricht folgen kann

Laut Schulpflichtgesetz ist ein Kind "schulreif, wenn angenommen werden kann, dass es dem Unterricht in der ersten Schulstufe zu folgen vermag, ohne körperlich oder geistig überfordert zu werden". Für die Stadtschulratspräsidentin beinhaltet das automatisch auch, dass die Unterrichtssprache gesprochen und verstanden werden kann. Die Entscheidung darüber, ob das Kind für die erste Klasse fit ist, trifft der Direktor bestenfalls im Einvernehmen mit den Eltern.

Ein Vorschuljahr sei verkraftbar, wenn dafür der zukünftige Karriereweg geebnet werde, heißt es aus dem Stadtschulrat. "Die Defizite dürfen nicht bis in die achte Klasse geschleppt werden." Anders sehen das die Grünen und die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch. "Mit Ghetto-Klassen verstärken wir das Problem statt es zu lösen, das ist bei Expertinnen und Experten unbestritten", sagt Harald Walser, Bildungssprecher der Grünen. "Brandsteidl handelt widerrechtlich und widerspricht wissentlich der geltenden Regierungsvereinbarung zwischen Rot und Grün in Wien, wonach Kinder nicht mehr aufgrund von Deutschdefiziten in eine Vorschulklasse abgeschoben werden dürfen."

Die grüne Integrationssprecherin Alev Korun verwies auf das Fördermodell in Kanada, wo Kinder, die die Landessprache noch nicht beherrschen, in den Regelklassen gefördert werden, anstatt sie "herauszupicken". Auch SOS Mitmensch reagiert empört. "Viele Kinder in Wien haben eine andere Erstsprache als Deutsch und weisen nichtsdestotrotz einen hohen Grad an Sprachreife auf. Diese Kinder zurückzustufen und ein Schuljahr verlieren zu lassen, wäre demotivierend, kontraproduktiv und ein politisches Armutszeugnis", so Sprecher Alexander Pollak. Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz und die ÖVP gratulierten hingegen Stadtschulratspräsidentin Brandsteidl. Sie sehen ihre langjährige Forderung erfüllt.